Original

12. Juli 1925

Unsere Primaner schwitzen im Abitur. Meminisse juvabit. Man denkt mit wehmütiger Regung an damals, wo man auch nach Wochen angestrengtesten Ochsens den Beweis zu liefern gedachte, daß man reif war fürs Leben. Ach, die schönen Examina, wo man noch nicht unter die Räder kam, wenn man eine glatte vier erschrieben hatte. Das Leben macht es nicht so gnädig, wie die Schule.

Ich habe mit Freuden gehört, was die Abiturienten diesmal für vernünftige Themata im deutschen und französischen Aufsatz zu behandeln hatten. Im Französischen hatten sie sich darüber zu verbreiten, daß «qui connait deux langues, vaut deux hommes». Im Deutschen galt es, eine Rede zu verfassen, die der zuständige Herr Minister nach Verwirklichung der allgemeinen Elektrifizierung des Landes halten könnte.

Es wirkt erfrischend, daß bei beiden Aufgaben die Wirklichkeit und die Gegenwart in ihre Rechte treten. Es wäre schwer, ein Thema zu finden, das für uns Luxemburger aktualer wäre, als das vom Wert der Zweisprachigkeit. Und es ist zu hoffen, daß alle Primaner im Lobe dieser Möglichkeit einer Doppelentfaltung einig waren und um die Wette die Beweise für die Wahrheit des Spruches zusammentrugen.

„Wort ist Macht,“ hatte einst der verstorbene Dr. Weiter an die Spitze des von ihm geleiteten Blattes drucken lassen. Wenn es nun leider ja oft auch zutrifft, daß Macht bloß Wort ist, so mag es doch im allgemeinen dabei sein Bewenden haben, daß mit dem Wort Vieles zu erreichen ist. Und dann folgt daraus, daß der doppelt so viel erreicht, der in den Bann seines Wortes zweimal so viel Menschen zieht, als ein anderer, den nur die Hälfte versteht, und wäre er auch nur Kellner in irgendeinem Palace oder Terminus.

War also dieser Vorwurf zum französischen Aufsatz der Wirklichkeit dicht auf und nebenbei eine Herausforderung zu patriotischem Sichindiebrustwerfen, so kam der andere nicht minder der Forderung entgegen, daß die Schule für das Leben da sei. Es ist heutzutage gar nicht mehr so schwer, sich in eine Ministerrolle hineinzudenken, wie in der Ära Eyschen, wo es schien, als ob ganze Generationen vorübergehen sollten, ohne aus ihrer Mitte ein Regierungsmitglied je gestellt zu haben. Man darf überzeugt sein, daß unter unsern diesjährigen Primanern mehr als einer ist, der das Zeug zu einem Minister in sich spürt und sich im geheimen verschwört, nicht zu ruhen, bis er am Steuer des Landes sitzt. Und dann muß er also auch wissen, was er den Leuten im Namen der Regierung sagen soll, wenn einmal in jedem Kuhstall elektrische Glühbirnen leuchten und jeder Schleifstein elektrisch gedreht wird. Er hatte es mit seinen zwei Aufsätzen leichter, als wir vor Jahren. Wir mußten im Deutschen uns über den Wert und Segen der Arbeit salbungsvoll auslassen und im Französischen die Betrachtungen anstellen, die sich einem Familienvater aufdrängen, der in einer Nacht am Spieltisch in Monte Carlo sein ganzes Vermögen verloren hat. (Auch dies Thema hatte einen nationalluxemburgischen Beigeschmack, da es an den Grasen von Luxemburg und seine verjuxten hunderttausend Taler erinnerte.) Aber Sie werden zugeben, daß es für einen jungen Mann von zwanzig Jahren heutzutage viel leichter ist, über die Vorteile der Elektrizität, als über Wert und Segen der Arbeit zu reden, und auch viel leichter, sich in die Rolle eines Ministers, als in die eines Familienvaters mit zahlreichen Kindern hineinzuversetzen.

Jawohl, Ihr jungen Dächse, Ihr wißt gar nicht, wie gut Ihr es habt!

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    Katalognummer BW-AK-013-2962