Original

14. Juli 1925

Broulli hat im „Gukuk“ eine äußerst löbliche Sache unternommen. Er will die Volkslieder sammeln, die in unserm Ländchen seit undenklichen Zeiten von Mund zu Mund gehen.

Ureigene Volkslieder haben wir sehr wenige. Außer den von Dicks gesammelten und in den „Kirmesgäscht“ verwerteten gibt es wohl kaum eines, das diesen Namen verdiente, wenigstens in dem Sinne, wie er zum Beispiel auf das deutsche oder französische Volkslied angewandt wird. Was an Volksliedergut in unsern Dörfern schon vor fünfzig, hundert und mehr Jahren lebendig war, ist deutschen Ursprungs und deutschen Wesens. Unsere Heimatsprache war für das naive Gefühl zu amusisch, als daß sich dieses bei ihr einen adäquaten Ausdruck hätte suchen wollen. Es war zu hautempfindlich, um sich in dies rauhe Gewebe zu hüllen und wählte das Hochdeutsche, das ihm mehr auf Herzenstöne abgestimmt schien, oder übernahm schon lieber das fertige deutsche Volkslied.

In den zwei letzten Nummern des „Gukuk“ hat Broulli mit der Veröffentlichung des gesammelten Liederschatzes begonnen. Das erste Lied heißt „Die schöne Gärtnersfrau“ und beginnt mit den Worten „Müde kehrt ein Wanderer zurück - Nach seiner Héimat, seiner Liebe Glück“. Es ist die übelste Abart des Volkslieds und gehört in das Schubfach: „Heinrich schlief bei seiner Neuvermählten“ oder „Der schönste Platz, den ich auf Erden hab’ - Das ist die Rasenbank am Elterngrab“. Anspruch auf Literatur, Kolportageromanpsyche, prätentiös sentimental, ein Bauernmädel, das sich städtisch anziehen möchte, neben den andern Dirndeln in Volkstracht. Aber was wollen Sie, was das Volk singt, ist Volkslied - nur keins wie die andern. Da lobe ich mir das frische Draufgängertum der Bauernburschen, die das schüchterne Gelock ihrer Vorgänger durch die deutliche Aufforderung ersetzen: Mädchen komm mit, kommt mit Verlasse dein Heim! Mädchen komm mit, komm mit in die Freiheit hinein!

So wenig erfreulich die schöne Gärtnersfrau war, so unbedingt herzerfrischend ist das zweite der von Broulli mitgeteilten Lieder: „Zaldotemarsch aus den Jahren 1820-30“. Da schreit man auf vor Lust an dieser reinen Unmittelbarkeit. „Die Lust ist vergiftet und die Steine sind so spitz - O wie glücklich der Mensch, dem das Niederland gefällt.“ ... „Traurige Briefe, die schreiben wir nach Haus, die pressen unsern Eltern die Tränen heraus, Und wir müssen in die Welt, und sie schicken uns kein Geld, Und das ist, was uns lustigen Brüdern nicht gefällt!“ Und gar die Schlußstrophe mit der Signatur der zwei lustigen Brüder, die das Lied auf der Wacht erdacht haben! Und der historische Einschlag, der den ganzen Hergang zeitlich und räumlich situiert und aus dem Lied ein echtes, rechtes luxemburger Lied macht! Diese eine Nummer wiegt Bände der ölig pomadigen Ware auf, die als Auchvolkslied den Weg ins Volk gefunden hat.

Auch die Weise ist von der allerechtesten Volksliederart, Anklänge an rechts und links, an das Blücherhusarenlied, an allerhand andre Volkslieder und doch voller Persönlichkeit, mit Wendungen, die für Ohr und Zunge ein Genuß sind. Und nun sagt uns Broulli zu guter Letzt, daß das Lied von einem alten, fünfundsiebzigjährigen Milizmann, dem „Schutesch Mis ob Peischtdönschteg am Café Sinner“ gesungen wurde. Behaltet dies Lied im Auge. Denn es könnte sein, daß es im Land Luxemburg zum Kriegsgesang würde, wenn wir nicht bald mit Belgien zu einer durchgreisenden Verständigung gelangen. „Und sie haben dem Leopold die Wahrheit gesagt, Virumvaldi dira!“

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    Katalognummer BW-AK-013-2963