Nochmals das luxemburger Volkslied. Allgemein hört man die Klage, daß das Volk nicht mehr singt. Aber es gibt noch Häuser, in denen das Lied gepflegt wird. Es gibt Hinterhäuser, in denen von früh bis spät Stimmen, zumal weibliche melodisch erklingen. Unter den Handwerkern sind es besonders die Anstreicher, die sich als Sänger hervortun. Als ob der Rhythmus, in dem sie Bürste und Pinsel die Fläche hinauf und hinab führen, sie zum Singen drängte.
In jedem Dorf gibt es einen oder eine, oft auch einige, die als die Hüter des alten Liederschatzes bekannt sind. Von einer dieser Art soll hier die Rede sein.
Es ist Frau Witry-Schmit aus Straßen. Sie ist eine Tochter des alten Schmiedes, der zuletzt seine Werkstatt im Kreuzgründchen hatte und der auch als Wirt sich in weitem Umkreis des besten Rufs erfreute. Er schlug in den Wäldern weit und breit bei den Holzversteigerungen sein Zelt auf und verkaufte den besten Grächen, den es gab, und Mutter Schmit war dafür bekannt, daß sie den besten Käse im ganzen Land kochte.
Nun gut, eine Tochter dieses biedern Ehepaares vom allerechtesten luxemburger Stoff zapft als Witwe in Straßen unter der Firma Witry-Schmit und hält in jedem Betracht die Überlieferungen der Familie hoch. Dazu gehört vor allen Dingen auch die Pflege des Volksliedes.
Als Papa Schmit noch Junggeselle war, und auch später noch, setzte er sich in seinen Mußestunden hin und schrieb fein säuberlich ein Heft nach dem andern voll der Lieder, die er auf Wanderschaft und wo immer gehört und sich eingeprägt hatte. Er zog mit dem Lineal die Notenreihen und schrieb nach dem Gehör die Weise nieder. Wo ist heute der junge Handwerker, der seine Abende mit dem Aufschreiben von Liedern ausfüllt?
Die Tochter tat es dem Vater gleich. - „Wir fanden uns beim Nähen zusammen. Wußte eine ein Lied, so mußte sie es so lange singen, bis wir es alle konnten. Und dann habe ich mir sämtliche Lieder aufgeschrieben.“
Und herein trägt sie zwei Zigarrenkisten, bis oben voll mit Heftchen, in denen auf allen Seiten die wunderbarsten alten Lieder aufgeschrieben sind. Man blättert drin und liest und liest. Längst vergessene Worte und Weisen klingen wieder auf, man hatte sie in frühen Kindheitstagen gehört und dann nie wieder, jetzt erscheinen sie taumelnd, sind wie Gestalten, die nach langer Verschüttung ans Tageslicht kommen und wieder langsam das Gehen lernen. Und Frau Witry sitzt dabei und fragt, welches Lied Dir denn so besonders gefällt. Ei, dieses hier: Die Quetschen and die seind lank und schmank ... - Aha, sagt Frau Witry, das geht so. Und singt gedämpft das ganze Lied herunter. Es können drei, es können auch siebenundzwanzig Strophen sein, sie fingt unentwegt alle herunter. - Und dies hier, von der Magd aus der Mühle. - Das geht so.- Und das von der ungarischen Braut. - Und dies: Es wohnt sich ein Weibsbild in der Burgerschaft Mensder. - Und so weiter und so weiter. Es werden nicht viel weniger als - sagen wir mal hundertfünfzig solche Lieder sein, und alle weiß sie auswendig, nach Worten und Roten, sagt Dir, wo und von wem sie jedes gelernt hat und wie die Varianten dazu gehen.
Auch da finden wir bestätigt, daß unser Volksliederschatz mit wenigen Ausnahmen deutschen Ursprungs ist. Dicks selber führt in seiner bekannten bei Stomps erschienenen Sammlung die meisten Lieder mit einheimischem Text auf bekannte deutsche Vorbilder zurück. Einerlei, im luxemburger Volksmund nehmen auch die urdeutschen Lieder einen heimischen Beiklang an und dies Gemisch von Hochdeutsch und Mundart ist grade der Adelsbrief, der ihr Alter und ihr Bürgerrecht dartut.