In den nächsten Tagen, am 23. Juli, feiert Professor Dr. Nikolas van Werveke seinen 75. Geburtstag. Am Samstag, 25. Juli, findet ihm zu Ehren im Casino ein Festessen statt.
Daß Nikolas van Werveke heute weniger berühmt ist, als jener andre Nikolas von Mamer, liegt wohl daran, daß er sich nur in der Wissenschaft und nicht im Sport hervorgetan hat. Zweimal hunderttausend Luxemburger wissen über die Leistungen und die Persönlichkeit unseres National-Rennfahrers Bescheid. Dagegen darf man bezweifeln, ob zweitausend von uns wahrhaft wissen, was Nikolas van Werveke für sein Land bedeutet.
Die Völker leben in den Tag hinein, geben sich aus, eignen sich an. Die heute leben, leben für sich und kümmern sich nicht drum, was die Späteren mit ihrem Beispiel anfangen werden. Sie sind wie Kaufleute, die keine Bücher führen. Die Buchhalter der Völker sind die Geschichtsschreiber. Und wenn ein Geschichtsschreiber die Bücher der Völker fälscht, ist er ein größerer Verbrecher, als der Fälscher des Hauptbuchs in einem großen Geschäft, das Millionen umschlägt.
Das Wesen Nikolas van Werveke’s ist leidenschaftliche, rücksichtslose, trotzige Liebe zur Wahrheit. Darum suchte er die Wege zu den Quellen. Er hat es in einem Leben voll lauterer, verbissener Arbeit erwirkt, daß aus unzähligen Quellen, die früher so gut wie verschüttet waren, die Wahrheit über unsere Vergangenheit hinflutet.
Es war ein Meisterwurf der Cahiers Luxembourgeois. daß sie an diesem Merkpunkt im Leben des Gefeierten eine Gedenktafel aufrichteten und ihm ganz ihre Julinummer widmeten. Dieser Gestus allein hätte genügt, ihre Daseinsberechtigung darzutun.
Die Zeitschrift macht zuerst ihre Leser mit der Persönlichkeit und dem Lebenslauf van Wervete’s bekannt.
Er ist in Diekirch am 23. Juli 1851 geboren, kam mit seinem Vater, dem nachmaligen Gefängnisverwalter, vier Jahre später nach Luxemburg, 1863 ins Athenäum und 1870 auf die Universität Bonn, wo er sich hauptsächlich den alten Sprachen widmete und mit Vorliebe Textkritik trieb, was ihm später bei der Entzifferung der alten Urkunden zustatten kam. Dann erging es ihm, wie seinem Kollegen von der Kunst, dem armen Michel Engels, der nach kaum einem Jahr Kunstakademie ins Unterrichtsjoch gespannt wurde. Nik. van Werveke bestand seine Kandidatur in der Philologie mit Auszeichnung. Das geriet ihm zum Verderben. Man fand, daß dieser treffliche junge Mann kein Hochschulstudium mehr brauchte und betraute ihn mit zwanzig Stunden Unterricht wöchentlich. Ein Lehrer am Athenäum mußte dazumal ein Tausendkünstler sein. van Werveke hatte fünf Stunden Latein, fünf Stunden Deutsch, fünf Stunden Französisch, drei Stunden Rechnen und zwei Stunden Geschichte. Es wird nicht gesagt, ob er außerdem noch die dicke Trommel in der Anstaltsmusik schlagen und beim Turnunterricht den Riesenschwung vormachen mußte. Im System von damals hätte es jedenfalls gelegen. Er fand nebenher noch Zeit und Lust, sich auf das Doktorat in Philosophie und Philologie vorzubereiten, und es wird alle, die im Lauf der Jahrzehnte bei ihrer Doktorprüfung in Philosophie schlecht abgeschnitten haben, mit Stolz und Genugtuung erfüllen. daß auch van Wervete in dieser Disziplin sich nicht besonders hervortat. Dagegen zeichnete er sich um jene Zeit u. a. im Latein aus und setzte seine Examinatoren durch die mustergültige Erklärung einer Ode von Horaz in Erstaunen.
Sie sehen, nichts läßt die besondere Orientierung nach der Historiographie erkennen, die für van Werveke zur Lebensaufgabe werden sollte. Bis an der Industrie- und Handelsschule die Stelle des Geschichtsprofessors frei und van Werveke damit betraut wurde
Franz Funck-Brentano hat zu der Festnummer der Cahiers Luxembourgeois einen Beitrag geliefert, in dem er u. a. schreibt: „van Werveke est non seulement l’honneur de l’historiographie luxembourgeoise, mais il occupe une place éminente dans la seience historique contemporaine.“
Das ist fast so ehrenvoll, wie wenn er Bottecchia im Tour de France besiegt hätte.
Zum Schluß sei die Leitung der Cahiers Luxembourgeois dazu beglückwünscht, daß sie in der Festnummer eine Auswahl aus den Schriften van Werveke’s bringt. Von ihm gilt das Wort: Wir wollen weniger gepriesen und fleißiger gelesen sein.
Die „Luxemburger Zeitung“ schließt sich aus ganzem Herzen der Ehrung des Mannes an, der wie kaum einer von sich wird sagen können, daß sein Leben aus Bescheidenheit, aus geringer materieller Genugtuung und aus einem Berg kostbarer Arbeit bestand.
Unser Blatt rechnet es sich zur Ehre an, daß sein Gründer zu den Ersten gehörte, die den Wert des jungen Gelehrten erkannten, und seinen Beiträgen immer wieder die Spalten der „Luxemburger Zeitung“ öffnete.