Der alte Nabe flog schwerfällig über Land.
Es war um die Abendröte. Rosa Wolkenbänder zogen sich quer durch den Westhimmel. Man glaubte sie auf der Zunge zu schmecken, süß wie Himbeerlimonade. Die Kornfelder waren fahlgelb, der Weizen begann sich golden zu bräunen. Es war Sonntag, ein heißer Tag. Alle Pompiersvereine waren in Uniform ausgeflogen, alle Bauernburschen hatten Vereinsmützen auf mit einer goldnen Lyra über dem Schirm und ließen sich nachlässig in Knie und Hüften fallen, tiefen: Jang! von einem Autobus zum andern und bissen auf ihre Zigarrenstummel, daß sie ihnen aus dem Mundwinkel wie Hauer hinaufstanden.
Das Zügelchen pustete durch die Äcker. Es war ein heißer Tag gewesen. Viele lagen in den Ecken, Hut oder Mütze überm schweißglänzenden Gesicht und schliefen. Der Lärm des Tages war in die Kanäle der Bahnen dräniert und tobte sich schwerfällig aus.
Der alte Rabe flog langsam durch den sentimentalen, bierdunstigen Abend, dem Wald im Westen zu.
Da, wo er flog, war unter und über ihm Einsamkeit. Oben die langsam erbleichenden Wolkenstreifen, unten die falben Kornbreiten und die bräunlichen Weizenäcker. Er flog allein seinen Weg nach dem Wald. Der Lärm hinter ihm störte ihn nicht. Er verachtete die Menschen, die sich ihres Wahnsinns freuten. Er flog unbeholfen, aber zielsicher, dem Walde zu. Er war wie ein Sinnbild des Willens zur Einsamkeit.
Auf einer Wagenplattform standen zwei betrunkene Bauernsöhne.
„Pitt,“ lallte der eine, „sieh den Raben. Wetten, daß ich ihn herunterknallen würde, wenn ich meine Flinte hier hätte.“
„Einen alten Dr ... knallst du herunter,“ lallte der andere Antwort.
„Da je alt,“ meinte der erste gutmütig. Aber er hatte sich mit der ruhigen Hartnäckigkeit des Betrunkenen in seine Idee verbissen.
„Ein gelungenes Rabenvieh! Am hellen Sonntag so mutterseelenallein durchs Leben fliegen, das wäre nicht mein Fall. Und kein Bier trinken, keine Lieder singen, keine Mädels küssen! Pitt, das wäre so was für dich, aber nicht für meiner Mutter, Sohn!“
Pitt sah mit schwimmenden Augen dem alten Raben nach.
„Was hast du mit dem armen Tier! Laß das arme Tier in Ruh oder ich schlag dir eine in die Fresse, daß die alle Zähne im vierten Gang die Gurgel hinunter fahren. Jawohl. Ich kenne den alten Raben. Der hat „dessen genug!“ Der ist aus der Rabenversammlung fortgeflogen, weil es ihm zu dumm war und weil er spürte, er macht es nicht mehr lang. Jetzt fliegt er drüben in den Wald und hockt sich oben auf die höchste Eiche und wartet, bis ihm das Herz stillesteht. Dann weiß er, er fällt herunter ins weiche Laub und Gras und bald kommt ein Fuchs und frißt ihn auf.“
„Pitt, Quatschkopp, was schert mich ein altes Rabenaas! Komm, hier sind wir, wir trinken noch eins!“
Mittlerweile saß der alte Rabe hoch in seinem Eichenwipfel und die Wolken waren grau geworden, weil die Sonne sie nicht mehr erreichte. Und ein Fuchs schnürte durchs Unterholz und wartete, daß der alte Nabe vom Baum fiele.