Weil er so brav war, kaufte ihm die Mutter ein Motorrad.
Ein Motorrad war immer sein Traum gewesen.
Dies Fabelroß aus Stahl und Flamme zu bändigen war sein glühendster Ehrgeiz.
Er ging nicht ein einziges Mal zu Stuhl, ohne sich im Geist in die Stellung hineinzuversetzen: Wie er im Sattel saß, wie er die Lenkstange als Zügel stramm gefaßt hielt, wie unter ihm der unbändige Renner in lauten Knallen seine Lust am Dahinstürmen kundtat, wie er über das Straßenband flog, daß die Bäume am Rand vorüberhuschten wie Gitterpfähle, wie er über jede Unebenheit hoch hinweghopste, denn sein Stinkmoppelchen war tadellos gefedert.
Und er sah sich als Sieger beim nächsten Rennen, im klassischen Full-Dreß: Halb Taucher, halb Nordpolfahrer, ganz in Leder und Pelz, mit einem Polsterhelm, selbstverständlich, und einem Patent-Rennsattel, damit keine edleren Teile verletzt würden. Und die süßen Mädels würden bei seinem Anblick erblassen und erröten, aus Angst vor den mannigfaltigen Gefahren, auf die seine Ausrüstung anspielte, und aus lauter Liebe zu dem jungen Helden. Er aber würde sie mit Gleichgültigkeit strafen. Denn seine Geliebte war seine Maschine.
Ganze Abende hindurch trainierte er vor der Stadt, wo sich die Bürger in der frischen Lust und in der friedlichen Stille zu ergehen pflegten. Er wollte ihnen gratis das Schauspiel bieten, für das man anderswo unter Umständen schweres Geld bezahlen muß. Und er ließ seinen Motor aus Herzenslust knallen. Lärm machen ist ja das Vorrecht der Jugend und des Südens.
Da begab es sich, daß sich plötzlich eine ältere Dame genau in der Fortbewegungslinie des Motorrades befand. Beim Zusammenstoß von Motorrädern mit älteren Damen sind in der Regel die Letztgenannten die Leidtragenden. Auch diesmal war keine Ausnahme von den Gesetzen der Mechanik zu verzeichnen.
Der junge Mann erlebte eine der größten Überraschungen seines Daseins. Er, der bisher der Überzeugung gewesen war, er sei ein Gegenstand der Bewunderung und Sympathie für die ganze Bürgerschaft, sah sich plötzlich feindselig umdrängt, mußte Worte hören, die er mit Bezug auf seine Person nie für möglich gehalten hätte, wie Lasse, Knote, Rüpel, Patentfatzke und dergleichen.
Die aufgeregte Menge teilte sich. Die einen trugen die Verletzte in ihre Wohnung, die andern gaben schimpfend dem enttäuschten Motorjüngling das Geleit bis zu seiner Wohnung.
Als seine Mama, die erst arg erschrocken war erfuhr, um was es sich handle, verklärte sich ihr Antlitz Sie trat auf die Türschwelle und sprach:
„Ihr guten Leute, wir danken Euch für die Teilnahme. Aber es ist gar nicht so schlimm, wie Ihr vielleicht gedacht habt. Denn mein Sohn ist gegen alle Unfälle versichert, mit der alten Dame mag es ausgehen, wie es will, die Versicherung bezahlt, uns kostet es keinen Pfennig!“
Die Wirkung dieser Rede war derart, daß der junge Mann drei Wochen lang das Bett hüten mußte und sich mit minus fünf Zähnen und einem immer noch etwas angerauchten Auge von seinem Schmerzenslager erhob.
Es war ihm in der Zwischenzeit klar geworden, daß das Publikum über die Schönheiten des Motorrads nicht ganz so dachte, wie er.