Auch wenn es eben nicht so saharisch heiß wäre, würde ich Ihnen vom Reisen entschieden abraten. Was haben Sie davon, daß Sie sich anderthalb Tage lang in einen mit rotem Plüsch ausgepolsterten Kasten zwängen, zwischen Mitpassagiere, die sich meist jenseits der 100 Kilogrammgrenze bewegen; daß Sie alsdann drei Wochen lang Ihr Scherflein dazu beitragen, einen Hotelbesitzer in zwei bis drei Jahren zum reichen Mann zu machen, daß Sie wieder heimkommen, müde von der Reise und von den fremden Eindrücken, vielleicht nachdem Sie allerhand unangenehme Abenteuer erlebt haben: Ihr Gepäck wurde verschickt, Ihre alte goldne Familienuhr wurde Ihnen gestohlen, Ihre Gemahlin konnte die fremde Küche nicht vertragen, Ihre Tochter hat sich in einen Hochstapler verschossen und was dergleichen Möglichkeiten mehr sind.
Versuchen Sie einmal, einen Urlaub lang zuhause zu bleiben.
Wie meinen Sie? Das sei doch zu banal? Ihr Zuhause laufe Ihnen nach, Sie wollen andre Gesichter, andre Wände mit andern Bildern, andre Horizontlinien sehen?
Ja, haben Sie denn Ihr Zuhause schon einmal richtig erlebt? Ich meine nicht so in den Zwischenpausen Ihres Tagewerks, als Tretmühlenmensch, der sein Heim immer nur bedingt genießt, mit dem Druck der Berusspflichten auf den Schultern, immer mit dem hetzenden Gedanken: Jetzt ist es halb drei, jetzt mußt du fort!
Ich meine, Sie sollten auf dem lieben alten Clavicimbel, das für jeden sein eigenes Heim ist, einmal die Weisen spielen, die Sie schon lange spielen möchten, nicht die Fingerübungen und Tonleitern, die Sie nicht mehr hören können. Sie leben das ganze Jahr zwischen Ihren vier Wänden als unfreier Mann, Sie haben es nie versucht, Ihr Haus und Ihre Umwelt in völliger Freiheit und Ausspannung zu genießen. Was haben Sie von Ihren früheren Ferienreisen als Allerschönstes in der Erinnerung? Doch sicher das vollkommene Befreitsein vom Beruf, vom Ruf der Pflicht, dies wonnige Morgengefühl: Heute gehört mir!
Nun gut, lassen Sie einmal dies Gefühl in Ihrem Heim sich auswirken. Und Sie werden erleben, daß es Sie mit ganz andern Augen ansieht. Ich möchte sagen: Aus der Frau Gemahlin ist eine Geliebte geworden. Sie sitzen in Ihrer Schlummerecke oder in Ihrer Gartenlaube und genießen den Komfort, den Sie sich geschaffen haben, der für Sie sozusagen auf Maß gemacht ist. Und wenn die Stunde kommt, wo Sie sonst auf die Uhr sahen und sagten: Jetzt! - dann strecken Sie wohlig Arme und Beine von sich und sagen: Jetzt tue ich genau, was ich will! Jetzt kann ich weiter dösen, oder lesen, oder durch den Park spazieren - wann sind Sie schon einmal werktags durch den Park spaziert? - oder nach Walferdingen fahren und bei Hellemanns auf der Terrasse einen gekochten Käse mit einem Glas Zwanziger geniesen, oder in der Schwimmanstalt ein Bad nehmen - und es ist nicht Sonntag, dieses lustvolle Sichhingleitenlassen dauert nicht vierundzwanzig, nicht achtundvierzig Stunden, nein, drei Wochen, vier Wochen lang. Und ich schlafe in meinem guten Bett und bade in meinem komfortabeln Badezimmer und trinke meine Weine, auf die ich mich verlassen kann, und habe meinen Skat und meinen Dämmerschoppen, und wenn ich mittags auf einer Caféterrasse am Paradeplatz sitze, kann ich mich hundert Stunden weit in die Fremde versetzen, denn um mich herum trinkt ein internationales Publikum seinen Kaffee.
Und ich habe dafür nicht Tage lang in einem Eisenbahnzug geschwitzt, bin nicht von einem auf den Mann dressierten Hotelwirt geschröpft worden, habe mich nicht geärgert, habe es einmal durchgesetzt, daß nicht der Prophet zum Berg, sondern der Berg zum Propheten gekommen ist.