Der Unterzeichnete hat im Kammerbericht Ihre Rede von Donnerstag gelesen.
Es ist eine fleißige Arbeit. Sie haben in angemessener Quantität auch den sozialen Zimt drangegeben. Das hat man ja jetzt viel.
Aber davon wollte ich nicht reden, sondern von einer erung, die mich, ich kann wohl sagen, verblüfft hat, besonders in Ihrem Munde.
Sie finden es standalös, daß grade die jungen Beamten so ungeheure Summen beziehen. Sie sprechen von Gehältern bis zu 15 000 Franken jährlich!
Diese Empörung grade Ihrerseits, Herr Abbé Ortger, hat mich, wie gesagt, verbllifft.
Sie preisen in derselben Rede in hohen und saldungsvollen Tönen den Wert des Kindersegens. Sie haben recht. Ohne Nachwuchs kein Bestand für ein Volk.
Nun führt aber der Weg zum Kindersegen, wie wir beide ihn verstehen, über Traualtar und Bürgermeisterei. Wer Kinder in die Welt setzen will, muß heiraten. Wer heiraten will, muß Frau und Kinder ernähren können. Verdient er aber kaum genug für Bude, Kostgeld, Schneider und Schuster, so darf er ans Heiraten nicht denken.
Das ist leider mein Fall. Ich bin eben zweiundzwanzig geworden. Laut der neuen Gehälterordnung werde ich rund 9000 Franken im Jahr beziehen.
Ich habe einen Schatz. Wir wollen heiraten, lieber heute, als morgen, das können Sie mir glauben, Herr Origer. Ihr Vater ist Postkommis, ihre Mutter hatte auch nichts.
Wie sollen wir es anfangen, mit 9000 Franken im Jahr eine Familie zu gründen und dabei, wie man sagt, unsern Rang zu halten?
Sie Hertrösten uns auf die Kinderzulagen. Aber erstens wissen wir nicht, ob unser Bund mit Kindern gesegnet sein würde, zweitens: Probieren Sie einmal, mit 600 Franken im Jahr ein Kind bis zu seinem achtzehnten Jahr durchzubringen. Ich kenne einen älteren Kollegen, der über 4000 Franken Kinder- zulagen hat. Für den hat es Wert, denn er vertrinkt die 4000 Franken glatt. Aber sonst: Je mehr Kinderzulagen einer hat, desto ärmer ist er.
In zehn Jahren werde ich es bis zu einem Gehalt von 12 000-14 000 Franken gebracht haben. Dann bin ich zweiunddreißig, Sie ist inzwischen ein spätes Mädchen mit leisen Kinnfältchen geworden. Zur Not könnten wir es mit 14 000 Franken riskieren, aber der Drang ist geschwächt. Mit siebenunddreißig oder achtunddreißig Jahren kann ich Unterbürochef sein und die ungeheure Summe von 15 000-16 000 Franken verdienen. Aber ich sehe es schon kommen, daß ich bis dahin ein eingefleischter Junggeselle geworden bin und Sie ist auf ihrer Stelle in der Bank auch zufrieden und froh, daß sie keine Windeln waschen und Strümpfe stopfen muß.
Der Emil Schrobiltgen, der auf Prima bei uns der Letzte in der Klasse war und zweimal durchs Abitur fiel, hat eine Wichsfabrik gegründet und wird bis dahin voraussichtlich eine Mercedes, eine Fiat und eine Austro-Daimler sowie eine Villa je an der Mosel, der Sauer und der belgischen Küste besitzen.
Ich könnte noch Manches zu diesem Thema vorbringen, Herr Origer, aber ich will nicht aggressiv werden. Eines nur zum Schluß: Wenn Sie die löbliche Absicht haben, die Beamten zum Heiraten und zum Kinderkriegen zu animieren, so müssen Sie ihnen vor allen Dingen einen ausreichenden Verdienst grade in dem Alter gönnen, wo sie zu beidem am meisten Lust und Talent haben.
HochachtungsvollAndreas Tintinger,
Regierungskommis.