Es war an einem schönen, nicht zu heißen Sonntag Nachmittag, auf der Terrasse eines ländlichen Hotels mit schöner Aussicht, liebenswürdiger Bedienung, guter Küche und vorzüglichen Weinen.
Auto an Auto stand aufgereiht, alle Tische waren dicht besetzt.
Fran Obergerichtsratswitwe Empich mit Tochter und Sohn war auf einer Fußtour begriffen. Sie hatte an meinem Tisch in der Ecke noch grade Platz gefunden und drei Kaffee complet bestellt.
Da es etwas lange dauerte, sagte sie spitz und elegisch, wenn sie eine Flasche Brauneberger Jusfer und drei Dutzend Krebse bestellt hätte, würde sie sicher rascher bedient.
Daran knüpfte sie Betrachtungen über die Unbill der Zeiten, und wie sie durch den Krieg deklassiert sei. Wenn sie früher mit ihrem Mann im gemieteren Landauer - bei Knebgen bezahlte man zwanzig Mark pro Tag für einen schönen Zweispänner - hier ansuhr, so stürzte das ganze Personal mit dem Besitzer on der Spitze ihnen entgegen. Sie waren stets die Glanznummer des Tages. Und heute! Sie zeigte mir mit milder Verachtung den Bäcker von Differdingen, den Metzger von Esch, den Weinhändler von Wellenstein, den Zündholzfabrikanten von Luxemburg, den Viehgroßhändler von Kehlen usw., die alle im Automobil gekommen waren und teure Weine tranken.
Ja, ja, die hatten’s. Und ihr Sohn kam auf Prima, würde übers Jahr sich für einen Beruf entscheiden müssen. Arzt, Advokat, Richter? Er würde nicht ein Fünftel von dem verdienen, was jene dort das Jahr hindurch verschlemmten.
„So lassen Sie ihn doch Metzger, Bäcker, Weinhändler, Fabrikant, Viehgroßhändler werden.“
„Pfui! Wie können Sie mir dergleichen zumuten! Ich bin auf den Höhen der Gesellschaft aufgewachsen!“
„Gut, gnädige Frau. Heute ist es an dem, daß man sich entscheiden muß: Geld oder Rang. Früher gingen beide zusammen, heute sind sie in den meisten Fällen getrennt. Sie müssen sich klar darüber werden, was Ihnen kostbarer ist. Der Besitz führt auf die Dauer dazu, daß sich die Fähigkeit zum Genuß der Lebensgüter verfeinert. Das ist ein Corollar der sozialen Gehobenheit. Ein Krieg bringt die Umstellung. Die zum Genuß Erzogenen haben eines schönen Tages nicht mehr die Mittel, sich die Güter zu verschaffen, und die die Mittel haben, sind im Genuß die Anfänger, die Geümper. Da muß es sich zeigen, ob die innere Gehobenheit oder ob der Genuß die Hauptsache ist. Es gab eine Zeit, wo ein Mensch von Bildung sich als deklassiert empfand, wenn er nicht wenigstens zweite Klasse auf der Eisenbahn fuhr. Nicht, weil er der Polstersitze bedurft hätte, um sich wohl zu fühlen, sondern weil er in den Mitreisenden eine Gesellschaft sand, die geistig auf ihn abgestimmt war. Wandert infolge der Umstellung diese Gesellschaft nach der dritten Klasse ab und der zweiten und ersten bemächtigt sich das Schiebertum, so wird der Mann mit innerer Bildung den Polstern keine Träne nachweinen. Die sitzen schließlich immer oben, von denen die andern empfinden, daß sie sich etwas Besseres dünken.“
Frau Obergerichtsratswitwe Empich war getröstet.
„Mein Camille wird Advokat!“ sagte sie bestimmt.
Und da inzwischen auch der Kaffee aufgetragen war, mit Kochkäse, Johannisbeergelee und einer leckeren Kirschtorte, so erschien den Deklassierten das Leben auf einmal wieder in ganz rosigem Licht.