Original

28. Juli 1925

Derselbe Herr Andreas Tintinger schreibt mir heute:

„In der Kammer wurde während der Gehälterdebatte wiederholt die Befürchtung geäußert, wenn jetzt die Beamten mehr Gehalt bekommen, so werde die Index-Ziffer über Nacht einen entsprechenden Satz nach oben tun und übers Jahr seien die Beamten wieder so weit, wie sie waren, und eine neue Aufbesserung sei unabwendbar.

Andere, darunter mein Freund Herr Abbé Origer, sprachen von der Notwendigkeit, der Lebensverteuerung energisch entgegenzutreten und dadurch diese verfligte Index-Ziffer endgültig an die Kette zu legen.

Ich wundere mich, wie von den vielen gescheiten Herren, die in der Kammer sitzen, noch kein einziger auf das Mittel verfallen ist, das uns allein vor dem Anschwelten der Indexziffer unsehtbar retten müßte.

Sehen Sie, die Sache ist so einfach. Heute werden nur die Beamtengehälter ins Schlepptau der Indexzisfer gehängt. Damit ist der Circulus viciosus sertig. Die Beamten verdienen mehr, Produktion und Handel schrauben ihre Preise hinauf, die Indexziffer steigt, der Beamte will wieder mehr Gehalt, der Staat aber hat keinen Pfennig mehr Einnahmen.

Warum hat der Staat nicht mehr Einnahmen? Weil seine Einnahmen nicht mit der Indexziffer steigen. Warum steigen seine Einnahmen nicht mit der Indezzisser? Weil bis jetzt niemand auf die Idee gekommen ist, daß die Steuern grade, wie die Gehälter, dem Steigen und Fallen der Indexziffer folgen müßten!

Sobald die Steuer jedes einzelnen sich automatisch der Indexziffer anpaßte, käme es erstens nicht mehr vor, daß in der Staatskasse nach jeder Gehälteraufbesserung eine beängstigende Ebbe einträte. Denn mit den Ausgaben für Gehälter hielten die Steuereinnahmen gleichen Schritt.

Zweitens wäre der Circulus viciosus durchbrochen. Produktion und Handel würden sich sagen: Wozu unsere Preise steigern und damit die Indexziffer in die Höhe schrauben, da wir zugleich unsere Steuern in die Höhe treiben? Was wir infolge der Preissteigerung mehr einnehmen, fließt infolge der höheren Indexziffer in die Staatskasse, also lassen wir es beim alten.

So wird die Indexziffer nie mehr steigen, es wird nie mehr eine Gehälteraufbesserung nötig, oder wenn sie infolge einer höheren Indexziffer nötig wird, fließen a tempo in die Staatskassen die nötigen Gelder und die Plusmacher haben das Nachsehen.

Also: Nicht nur die Gehälter, sondern auch die Steuern - nicht nur die Ausgaben, sondern auch die Einnahmen wären der Indexziffer anzupassen. Dann wäre allen geholfen. Ich überlasse meine Idee den zuständigen Stellen unentgeltlich im Interesse des Vaterlandes.

Hochachtungsvoll Andreas Tintinger.

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KatalognummerBW-AK-013-2975