Original

29. Juli 1925

In der letzten Gemeinderatssitzung der Hauptstadt wurde lang und breit über die Verkehrsordnung gesprochen, über die Straßen, in denen überhaupt kein Wagen fahren darf, die Straßen, in denen Fuhrwerk nur so und nicht so herum verkehren darf, in denen nur zu bestimmten Stunden gesahren werden darf, kurzum, über die Stadt als eine Art Orgel, auf der nur die spielen dürfen, die wissen, wie die Register gezogen werden.

Für die Register stehen die Schilder. Und wer öffentliche Schilder anzubringen die Obliegenheit hat, ist ein geplagter Mann. Wie er’s macht, macht er’s falsch. Ich kann mich erinnern, daß in Münchener Philologenkreisen einmal vor Jahren beinahe eine Revolution ausgebrochen wäre wegen eines Schildes, das ein Bauunternehmer an der Bretterschutzwand vor einem Neubau angebracht hatte: „Rauchen und Unbefugten ist der Eintritt verboten.“ Es wurden Prämien ausgesetzt, wie dieser Satz einzurenken sei. Den Unternehmer ließ es kalt, denn jedermann wußte, was er sagen wollte.

Dagegen wird behauptet, unsere Polizeibehörde habe in der Stadt Luxemburg Schilder anbringen lassen, über deren Bedeutung sich streiten ließe. Eines dieser Schilder heißt: „Sens interdit - Verbotene Fahrrichtung.“

Nörgler behaupten, diese Schilder seien vielfach so angebracht, daß man nicht wisse, ob sie für die Straße rechts, die Straße links oder die Straße gradeaus gelten. Das ist natürlich Haarspalterei. Mehr literarisch orientierte Beschauer meinen, das Wort sens sei hier abstrakt. Sie ließen gelten, daß man das Verbot nach vorne ergänzte und durch ein Schild „Bon sens interdit“ die Fassaden kennzeichnete, hinter denen nicht immer die lautere Vernunft zum Wort kommt.

Jedenfalls wirkt das Schild infolge einer gewissen Intellektualität nicht so stringent, wie es müßte. Solche Schilder müßten eigentlich in gradezu brutalem Kommandoton gehalten sein. Véhicules, halte! Keine Durchfahrt! Liest ein Wagenführer: Sens interdit, so regt sich in ihm der Widerspruchsgeist und er verfällt der Versuchung, um die Ecke zu fahren und von der andern Seite zu probieren, ob man da darf. Und dann wirft er die neugierige Frage auf, warum denn grade von dieser und nicht von der andern Seite die Durchfahrt verboten ist, er wittert Günstlingswirtschaft oder was weiß ich.

Die Deutschen haben für diese Art Verkehr mit dem Publikum die richtigen Formeln. Erinnern Sie sich der Plakate, die früher in den Eisenbahnwagen hingen? „Verboten ist - erstens, zweitens, drittens, bis 37.“ Man wußte, wie man seine Zeit zubrachte. Man studierte die Liste der verbotenen Dinge und freute sich über den Geist der Ordnung, der de herrschte.

Seit wir französisch fahren, ist die Verwaltung tagtäglich in Verlegenheit, wie sie die alten Verbote übersetzen soll. Ne pas mit dem Infinitiv feiert Orgien. Ne pas eracher dans la voiture - Ne pas ouvrir la portière avant l’arrét complet du train. Und dann das Schmerzenskind: Nicht hinauslehnen! - Ne pas se pencher en dehors, dehors oder au dehors! Ich habe das dunkle Gefühl, daß die französische Akademie keiner der drei Fassungen ihre Zustimmung gäbe, wenn sie zu einem Gutachten aufgefordert würde.

1889 stand in Paris in den Wagen der kleinen Devaucille-Bahn, die auf dem Ausstellungsgebiet verkehrte, eine ähnliche Warnung, und wir hatten unsere Zugehörigkeit zum „ewig großen Völkerbund“ dadurch dokumentiert, daß wir neben der Übersetzung dieser Warnung in alle Kultursprachen auch die Luxemburgische hatten anbringen lassen. Sie lautete: „Streckt d’Käpp an d’Ärm net eraus!“ Jener preußische Unterossizier hätte hinzugesügt: „So’n Tunnel reparieren kost’ Jeld!“

Noch eine Vemerkung, die nur lose mit dem Thema zusammenhängt. In der Nähe des Wilhelmplatzes liegt ein Café mit der Inschrift: Zum Knuedler. Es soll heißen: Zum Knuedlergart. Ein Knuedler ist ein Mönch, der sich einen mit Knoten versehenen Strick um die Lenden gürtet. Der Knuedlergart ist der Garten, den sich das Knuedlerkloster angelegt hatte, wo heute ein Teil des Wilhelmplatzes liegt. Und den Platz meint doch wohl jenes Schild, nicht den Mönch.

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