In der Kammer war kürzlich lang und breit, zumal breit, von der Ausdehnung der Kompetenz der Friedensrichter die Rede. Herr August Thorn wehrte sich dagegen, daß mit der Ausdehnung zu weit gegangen würde, seine Gegner wurden herb und sagten, er rede pro domo, er wolle die Gerichtssachen in Luxemburg konzentrieren, wo die Advokaten wohnen, er wolle es also sich und seinen Kollegen so bequem machen, wie möglich.
Ich glaube, man hat damit den Advokaten im Allgemeinen und Herrn Thorn im Besondern Unrecht getan, indem man ihnen nicht genug Einsicht zutraute, um zu merken, daß grade die erhöhte Kompetenz der Landrichter ihren Weizen zum Blühen bringen wird.
Das Prozeßsühren ist heute immerhin eine Sache, die man sich überlegt. Der Bauer geht sozusagen noch lieber zum Arzt, als zum Advokaten. Das wird mit der Zeit ganz sicher anders.
Sie kennen das tiefsinnige lustige Stück vom Dr. Knock, der die Landpraxis eines Vorgängers übernahm. Der Vorgänger lebte auf seiner Praxis als Landarzt schlecht und recht, mehr schlecht als techt. Er hatte alle Vierteljahre einen Pattenten, den er dann im Handumdrehen kurierte. Dr. Knock machte es anders. Er durchseuchte die Gegend mit „Medizinalität“, er brachte der Einwohnerschaft bei, daß jeder Mensch von seiner Geburt an ein kranker Mensch sei und darum anhaltend verpflichtet, sich unter ärztliche Kontrolle zu stellen. Eine Szene ist von eindringlichster Komik. Zwei Betrunkene kommen und wollen den neuen Doktor uzen. Er läßt die Majestät der Medizin auf sie wirken und zehn Minuten später schwanken sie hinaus, gebrochene Leute, überzeugt, daß sie den Keim des Todes in sich tragen.
Ich habe mich immer gewundert, warum der Verfasser mit der Medizin und nicht mit der Justiz, vielmehr dem Jus operiert hat. Warum sein Dr. Knock nicht zum Veispiel ein junger Advokat ist, der sich in einem Dorf festsetzt und die ganze Umgegend mit dem Prozeßvirus infiziert.
Merken Sie, wie es gemeint ist? Unsere Bevölkerung denkt viel zu wenig nach den Normen des Rechts, das Zivil-, Handels- und Strasgesetzbuch sind ihr Arcana, mit denen sie nichts zu tun haben will, womit sie die Advokaten und Richter gewähren läßt. Sie begreift die Schönheiten des Prozeßwesens nicht. Das ist jungfräuliches Land, das auf den wartet, der es urbar machen will. Und er wird kommen. Er wird ein junger Advokat sein, der in Blanden seine Amtsstube aufmacht und es in drei, zwei Jahren, vielleicht in einem Jahr so weit gebracht haben wird, daß alle die dem Spott verfallen, die je einmal behauptet haben, das Friedensgericht in Vianden sei überflüssig. Er wird der Landbevölkerung den Sinn für die Schönheften und für die Notwendigkeit des lebendigen, tagtäglich erlebten Rechts beibringen, wie Dr. Knock ihnen diesen Begriff in Betracht der Medizin bei- gelwacht hat. Sie werden Prozesse führen, wie man sich malsseren, wie man sich Zähne ziehen läßt, wie man sich mit Mondorfer Wasser purgiert, wie man und trinkt. Und niemand wird begreifen und glauben wollen, daß es je eine Zeit gab, wo in der luxemburger Kammer wegwerfend von der Daseinsberechtigung der Friedensgerichte im Allgemeinen und des Friedensgerichts von Vianden im Besondern gesprochen wurde, grade wie niemand begreifen kann, daß es eine Zeit gab, wo in Europa kein Tabak geraucht wurde.