Original

1. August 1925

Das einzige Geräusch in der Nacht war der Zweitakt der Hufeisen mit dem der Braune klapp klapp das Chatsewägelchen über die stillen Straßen zog. Und das einzige Licht im schlafenden Dorf kom aus einem verhängten Fenster, hinter dem wahrscheinlich ein Kranker fiebernd auf den Arzt wartete.

Chaisewägelchen nannten sie am Rhein das Gefährt, das sonstwo Victoria heißt, das bequemste und graziöseste Pferdefuhrwerk der alten Zeit.

Funken flogen von der Zigarette des jungen Gutsbesitzers, der kutschierte und seinen Gästen, die im Wagen saßen, die Vorteils seiner Irländer gegenüber den Brabantern erklärte. Der schlanke Dackel Butzy mit dem Schnauzbart saß neben seinem Herrn auf dem Bock und dachte mit gesurchter Stirn über die Welträtsel nach und den Hafen, den er nochmittage jappend gejagt hatte.

Der Braune zog in schlankem Trab das Chaisewägelchen ficher bergauf bergab und um die Ecken. Ich erinnerte mich an meine erste Autofahrt vor Jahrzehnten, wie ich damals auf dem Sprung saß, jede Muskel gespannt und jede Sekunde bereit, einem Unglück durch einen geschickten Satz zu entgehen. Dazumal war uns das Pferd das sicherste Fortbewegungsmittel. Man wußte, es verließ von sich aus nie das helle Straßenband, aus Gewohnheit wie aus Bequemlichkeit, es trabte seinen Weg auf alle Fälle bis zur nächsten Wirtschaft oder bis zu seinem Stall, unbeirrt und zuverlässig, es war eben ein lebendes Wesen, dem sein Herr oft mehr Vernunft zutraute, als sich selber.

Das leblose Auto dagegen war uns zuerst ein unheimliches, underechenbares und unzurechnungsfähiges Wesen, das der Chauffeur immer stramm in der Hand behalten mußte, sollte es nicht die gefährlichsten Seitensprünge machen. Wir setzten Kutscher und Chauffeur gewohnheitsmäßig gleich und dachten nicht, daß ein Mann stunden- und tagelang an einem Lenkapparat sitzen könnte, ohne einmal einzunicken oder im Gedanken an seinen Schatz oder an sein Abendbrot zerstreut zu werden. Und das war das Ende mit Schrecken. Dann rannte die Maschine, die weder Vernunft noch Instinkt hatte, an einen Baum oder in einen Graben, wenn nicht in einen Abgrund. Wir hatten uns noch nicht an den Gedanken gewöhnt, daß die blinde und unbändige Kraft des ganz in die Augen und Hände eines Menschen gelegt werden könnte, und daß wir uns auf diesen verlassen würden, wie vordem auf das Pferd.

Und heute ist es so weit, daß jemand, der seit Jahren das Pferdefuhrwerk nicht mehr praktiziert hat, hinter einem tradenden Gaul mit demselben Unruhegefühl im Wagen sitzt, das wir die erste Zeit im Auto hatten. Er denkt nicht mehr an die Vernunft, den Instinkt, die Zuverlässigkeit des lebenden Wesens da vorne, er wartet darauf, daß dem Pferd grade sein Bewußtsein Seitensprünge eingibt, daß es vor einem Licht, irgendeiner unerwartet auftauchenden Erscheinung scheut, durchgeht, seine Last in tollem Jagen entsetzt hinter sich herschleppt, in Graben oder Abgrund oder wider Baum und Mauer schleudert. Aufmunterndes Schnalzen des Herrn läßt ihn vermuten, daß etwas nicht stimmt, daß der Gaul Ausbruch- oder Trägheitsvelleitäten zeigt, kurzum, daß die Ebenmäßigkeit der Fahrt gestört werden könnie. Und es stellt sich heraus, daß die leblose Maschine endgültig die Welt erobert hat. Das Jahrhundert, das sie stolz das Jahrhundert der Maschinen nannten, sah erst den schwachen Anfang der Umstellung. Ein erstes Stadium wird erst dann zurückgelegt sein, wenn wir im Flugzeug dassolbe erhöhte Sicherheitsgesühl gegen die Zeit des Automobils haben werden, wie wir es heute im Automobil gegen die Zeit der Chaisewägelchen haben.

Und die Fahrt durch die helle Nacht war doch schön, in manchem Betracht schönor, als eine Autofahrt. Ich bin überzeugt, daß mir Wutzy der Dackel recht gibt. Und wenn man zur Zeit Lenau’s Auto gefahren wäre, wie wäre das wunderschöne Gedicht entstanden: Lieblich war die Maiennacht ....

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