Original

16. September 1925

Als der Zug sich der Endstation näherte, stoppten die Damen ihr angeregtes Gespräch kurz ab und ihre Hände gerieten in die fahrige Bewegung die Frauenhänden eigen ist, wenn sie in der Eile allerhand zusammenraffen müssen. Sie scheinen sich in solchen Augenblicken als Glu@ennen zu sühlen, die alles unter ihre schützenden Fittiche nehmen wollen: Täschchen, Paketchen, und die Kinder, die zu ihnen gehören.

Als die Damen glücklich draußen waren in der Nacht, stand in der Ecke ein verwaister Regenschirm. Es war keiner von den modernen Regenschirmen, die die Damenwelt mit sich herumträgt, wie früher die großen Herren verwachsene Hofnarren um sich hatten: Als grotesken Gegensatz zur notwendigen Schlankheit der Schönen von heute, als Dackel neben dem Windspiel, als Folie ihrer Eleganz.

So ein Phänomen war dieser Regenschirm nicht. Er war kein ästhetischer, sondern ein realpolitischer Regenschirm. Er hatte nicht die Erscheinung seiner Besitzerin zu heben und zu unterstreichen, sondern er hatte sie lediglich gegen den Regen zu schirmen. Er hatte eine runde, abgegriffene Holzkrücke und atmete in seiner ganzen Personlichkeit deftige Solidität.

Da stand er nun, schnöde vergessen und verlassen in seiner Ecke. Machte sich seine Gedanken über das Menschenvolk.

Es ist nicht leicht, sich die Gedanken eines Regenschirms auszumalen. Weil man über seinen Charakter völlig im Unklaren ist. Bei uns Menschen löst die Vorstellung von regnerischem Wetter üble Laune. Langweile, Griesgram und Trübsinn aus. Ist es beim Regenschirm ebenso? Ist nicht sein Dasein durch seinen Beruf verbittert, durch die notwendige Wechselbeziehung zwischen ihm und dem schlechten Wetter? Oder ist es umgekehrt? Verfällt der Regenschirm nicht grade bei Sonnenschein in trübsinnige Gedanken, weil er sich dann unnütz vorkommt und über sein verfehltes Dasein grübeln muß?

Wie dem auch sei, eins schien mir sicher: Dieser Regenschtrm dachte nach über den Undank der Menschen. Wie hatte ihn seine Besitzerin so sorgfältig den ganzen Tag hindurch betreut und behütet, solange der Anblick der Wolken am Firmament die Angst vor Regen in ihr wach hielt! Da war er ihr treuester Begleiter, von dem sie sich um so weniger hätte trennen wollen, als sie sich grade bei Grünny Jenstein einen neuen Hut gekauft hatte. Und jetzt, wo die Regenwolken in der Racht unsichtbar geworden sind, jetzt hat sie den Freund in der Not, den treuen Begleiter leichtfertig vergessen und seinem ungewissen Schicksal überlassen.

Hier setzte in der Gedankenreihe des Regenschirms höchst wahrscheinlich die Schadenfreude ein. Wie, wenn es draußen zu prasseln begänne und der neue Hut .... eiweih! Ich glaubte, den Regenschirm in seiner Ecke kichern zu hören.

Er tat mir leid, der arme alte verlassene Regenschirm. Er war etwas wie ein altes Regenschirmmütterchen. Grade das, was unsre Mundart als „Präppelchen“ bezeichnet. Schon wollte ich ihn mitnehmen, um ihm das Gnadenbrot zu geben, als mir noch rechtzeitig einfiel, daß es nichts Unbequemeres gibt, als solch mitgenommenen fremden Regenschirm. Ich kenne eine Dame, die eines Abends aus einem Wagen der Eleltrischen einen stehen gebliebenen Regenschirm mitnahm. Jedesmal, wenn sie ihn in der Folge benutzte und jemand sie im Vorübergehen ansah, dachte sie, das sei der rechtmäßige Eigentümer des Schirmes und war gewärtig, daß er den nächsten Polizisten auf sie hetzen würde. Heute leidet sie an Versolgungswahnsinn.

Dem wollte ich mich nicht aussetzen und überließ den alten Regenschirm der ungewissen Zukunft, der er entgegenging.

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KatalognummerBW-AK-013-2982