„1792 - Goethe in Luxemburg. Von Dr. Nikolaus Hein. - Mit den Zeichnungen Goethes von Luxemburg und andern Abbildungen.“
Wenn Sie in diesen Tagen eine Buchhandlung in Luxemburg betreten, so fällt Ihnen gleich ein Plaket mit obigem Titel in die Augen. Wer Sie auch sind, legen Sie zehn Franten auf den Ladentisch und tragen Sie das Buch als einen Schatz nachhaus. Sie werden dankbar sein für die Aufforderung.
Denn es ist lange bei uns kein Buch erschienen, das so wie dieses verdient von jedem Luxemburger nicht nur gelesen, sondern als Eigentum erworben zu werden.
Es steckt darin eine Unsumme der interessantesten, klügsten und glücklichsten Gammler-, Forscher- und Literatenarbeit.
Daß Goethe nie in dem Haus gewohnt haben kann, das im Pfaffental die bekannte Inschrift trägt, wurde hier vor längerer Zeit an Hand der einschlägigen Stellen aus Goethe’s „Campagne in Frankreich“ nachgewiesen.
Dr. Nik. Hein führt, weiter ausholend, denselben Nachweis und weitet jeine Arbeit zu einem ebenso gewissenhaft gezeichneten wie fesselnden Bild einer Zeitenwende aus, auf deren Hintergrund uns die imposante Gestalt Goethes erscheint.
Es zeugt für den Versasser, daß er selbst Wert und Bedeutung seines Werkes so klar erkennt und umschreibt in den Worten der Einleitung:
„Nicht als ob die Goetheforschung und die Goethe„Literatur dadurch eine wesentliche Bereicherung er„führen, sondern weil es einen eigenen Genuß bietet, „das Heimatliche durch die Erinnerung an die An„wesenheit eines der größten Menschen und Dichter „aller Zeiten in einer besonderen Gehobenheit und „Verklärung zu sehen.“
Dr. Nitolaus Hein hat den tiefen Dank aller Luxemburger verdient, die zum Goethe’schen Ingenium irgendwie in Beziehung getreten sind. Die Art, wie er seine Aufgabe anpackt und löst, verrät nicht nur den gewissenhaften Wahrheitssucher, sondern reifes literarisches Urteil, kluges Verständnis für die Goethesche Einstellung zu Welt und Menschen, und nicht zuletzt eine Vescheidenheit, die grade in diesen Tagen als Gegensatz zu andern Erscheinungen unserer heimischen Literatur wohltuend wiekt.
Das Buch wirbt für Goethe, dem man heute mehr als je die Vedeutung eines Genies über den Völkern und eines der größten Pazisisten der Menschheitgeschichte zuerkennen muß. Es wird vielen, die es überhaupt erst zur Lektüre der „Campagne in Frank- reich“ veranlassen wird, eine Quelle reinsten Genusses und lebendigster Teilnahme sein und bleiben. Und es ist tretz seiner vornehmen Einstellung ein Volksbuch kostbarster Art, weil es eine Zeit wieder ins Licht hebt, deren Andenken durch fünf Vierteljahrhunderte langsam versickert ist und die mit der jüngsten Vergangenheit einen packenden Parallelismus aufweift. Der Verfasser deckt die Quellen halb verschollener Überlieferungen auf, zeichnet völkerpsychologische Zusammenhänge, die von lebendigster Aktualität sind, läßt die Umwälzung, aus der das Europa des 19. Jahrhunderts herauswuchs, so klar vor dem Leser erstehen, daß seine Darstellung genügt, das Verständnis nicht nur für das Wesen der französischen Revolution, sondern für die politisch-geschichtliche Entwicklung Europas bis auf unsere Tage zu verwitzeln und zu schärfen. Sein Buch ist eine anschauliche Illustration zu Goethe’s berühmtem Ausspruch nach der Kanonade von Balmy: „Von hier und heute geht eine neue Cpoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seyd dabei gewesen.“
Im Spiegel jener Ereignisse erscheint heute manches, das uns durch seine Nähe und Unübersichtlichkeit besremdet, leichter verständlich.
Das Buch von Dr. Rikolaus Hein muß die weiteste Verbreitung finden schon deshalb, weil es für Unzählige Antnüpfungspunkte bietet an Erinnerungen, die sie an diese oder jene Familienüberlieferung bewahrt haben und die heute verblaßt, wenn nicht ganz reischwunden sind. Der ganze Südosten und Süden unseres Landes war in den Herbstwochen von 1792 der Schauplatz der Vor- und Nachkriegsereignisse, die die Allüerten zur Rettung der Monarchie nach Frankreich und in einem Rückzug voll unbeschreiblichen Elends zurück über die Mosel führten. Aus unzähligen Ortschaften werden kürzere und längere Episoden berichtet, aus Grevenmachet, Manternach, Lellig, Wasserbillig, Flaxweiler, Roodt, Olingen, Mertert, Senningen, Niederanven, Stadtbredimus, Bous, Mutfort, Merl, Straßen, Dippach, Schuler, Bartringen, Mamer, Dahlem, Linger, Bektingen, Sprinlingen, Hesperingen, Itzig, Bettemburg, Nördingen, Schifflingen, Bergem, Steinbrücken - sogar von „Mauvaise-Esch“ berichtet das Tagebuch eines Dabeigewesenen. Von Plackereien der Vevölkerung durch die Soldateska erfahren wir, vom Verhalten der Luxemburger zu den durchziehenden Truppen, von dem Eindruck, den unsere Vorsahren und ihre Sprache auf die Chronisten machten usw. usw. Und mancher wird denken: Ganz wie im August 1914!
Einer berüseneren Feder bleibt es überlassen, den geschichtlichen Teil des Buches in seinen Einzelheiten eingehender zu werten.