Unser neues Jagdgesetz gehört, im Gegensatz zum Schulgesetz, zu denen, die nachher viel mehr von sich reden machen, als vorher. Wo man geht und steht, hört man nur vom neuen Jagdgesetz reden und was es für allerhand unvorhergesehene Wirkungen schon gezeitigt habe und noch zeitigen werde. Alte, in Ehren ergraute Bürger erzählen Ihnen mit Zittern halb der Rührung und halb der Empörung in der Kehle und einer Träne im Augenwinkel, daß sie seit fünfundvierzig Jahren jedes Jahr einen Jagdschein gelöst und am Eröfsnungstag ihr Häslein geschossen haben, und daß sie heuer zum ersten Mal nicht mit dabei sein konnten, weil ihre Jagd ihnen von einem Schieber weggesteigert wurde. Alle diese aufs Trockne gesetzten Jäger kokettieren mit ihrem Schmerz, reden bitter tronisch davon, daß sie ihre Flinte und ihren Hund verkaufen werden. Vielleicht tun sie sich zu einem Verein von Mützenjägern nach dem Verbild der Jäger aus dem Tartarin von Tarascon zusammen?
Unsere Sozialpolitiker und Geschichtsphilosophen pflegen von der Jagd und vom Jagdgesetz wegwerfend zu reden. Sie haben Unrecht. Sie unterschätzen beider Bedeutung. Die Leidenschaft für die Jagd ist beim Mann von heute sozusagen der seelische Blinddarm eines Zustandes, der früher durch den Kampf ums Dasein bedingt war. Die Jagd bietet heute die einzige Gelegenheit, sich in die Stimmung des Urmenschtums einigermaßen zurückzuversetzen, mit Vernunft und Tücke der Schöpfung Genußwerte abzugewinnen, die nicht industriell hergestellt und kaufmännisch vertrieben werden.
Im Jagdgesetz aber sehen wir eine normale Auswirkung der Umwälzung, zu der die Revolution von 1789 den ersten Anstoß gegeben hat. Eine Auswirkung, die gewissermaßen in possierlicher Weise Ben Atibas Wort von der Entwicklung im Kreise illustriert. Die Demokratie sollte an die Stelle des Privilegs das Recht, an die Stelle des erblich Überkommenen das Verdienst setzen. In Jagddingen war es, sagten sie, bis in die letzte Zeit noch immer so, daß ein Hochmögender sich von den Bauern die Unterschriften moralisch erzwang und den Bann gratis bejagte. Das sollte anders werden. Die Bauern sollten für ihr Jagdrecht Bargeld bekommen, möglichst viel Bargeld, womöglich so viel, daß sie keine Gemeindeauflagen mehr zu bezahlen brauchten. Und die alten Jäger standen da in der öffentlichen Meinung als eine Art Nassauer, Zechpreller und Schmarotzer.
Über Nacht ist das anders geworden. Die den Bauern das erhosste Bargeld bringen, heißen auf einmal Schieber und Plusmacher und Dickwänste, und die Zechpreller und Schmarotzer von früher sind die bedauernswerten Märtyrer des neuen Regimes. Dabei wird vollständig vergessen, daß das neue Regime ganz genau das alte Regime ist - nicht von gestern, sondern von vor 1789! Es ist die ganz natürliche Rückentwicklung zur Aristokratie. Wer waren im Sinn der Revolutionäre von 1789 die Aristos, die Besten? Ursprünglich die Stärtsten, Intelligentesten, Strupellosesten. Denn die hellsten Köpfe, die besten Mägen und die dickhäutigsten Gewissen regieren immer die Welt. Ihre Erben saßen im Holländer Käs und ließen es sich wohl sein, bis die draußen sanden, es bestehe eigentlich kein Grund, daß sie nicht auch drinnen sößen. Sie begnügten sich nicht mehr mit Erstaunen und Restgnation. „Wir auch!“ wurde ihre Losung. Kutschierte früher der Schloßherr viere lang durch die Dorsstraße, dachten die Bauern höchstens, wie gut es doch der Herr und wie schlecht sie es hatten. Kommt heute ein Auto ins Dorf, so sehen die Burschen dem Motor kritisch in den Bauch und trachten darnach, fahren zu lernen, denn sie wollen später auch ihr Auto haben.
„Wir auch!“ ist die Losung der Tausende, die haute Jäger werden wollen, wo sie früher nie daran gedacht hätten. Mit am Tisch des Lebens sitzen, so vorne und oben, wie möglich.
Aber das können wiederum nur die Stärksten usw. s. oben. Die Aristokraten, die Raubritter, die Adligen und Fürsten von früher haben heute ihr bürgerliches Äquivalent. Und die Welt geht weiter im Kreis.