Original

26. September 1925

Wir waren zusammen in die Schule gegangen, aber ich harre ihn seir Jahrzehnten nicht gesehen. Ich wußte nur, daß er die Bücher in die Ecke geworfen hatte und wieder Bauer geworden war.

Der Zufall führte mich in sein Dorf und wollte, daß er grade im Gartentor stand, als ich vorbeiging. Erkennung, Begrüßung, Einladung auf einen Imbiß, aufgefrischte Jugenderinnerungen, Versprechen, sich von nun an wieder öfter zu sehen.

Vom Gartentor führte ein hell gekiester Weg mit Buchsbaumeinfassung zwischen gepsiegten Obstbäumen, Hochstamm und Spalter, bis zur Haustüre. Kaisertronen blühten, der frische Duft des jungen Jahres schwamm in lauen Schwaden durch die Nachmittagsluft.

Als ich mit ihm die gute Stube betrat, stieß er die Fensterläden auf und das Licht fiel golden auf die Bilder an den Wänden.

„Eil“ tat ich erstaunt. „Wo in aller Welt kommst du zu solchem Bilderschmuck?“

„Seemann,“ sagte er lachend. „Alles Seemann.“

Ich: „?!“

„Du kennst doch E. A. Seemann, Meister der Farbe, Leipzig?“

Allerdings kannte ich Seemann. Ja freilich, natürlich. Vor dem Krieg. Ich wußte von einigen herrlichen Blättern, die ich mir gekauft hatte, um sie nachher in die Runde zu verschenken. Damals konnte man sich das leisten. Heute ist das Rinnsal von Kunst und Schrifttum, das aus Deutschland über die offene Zollgrenze bei gemeinsamer Valuta ungehindert stoß. so gut wie versiegt. Ich hatte seit Jahren von Seemann nichts mehr gehört und gesehen. Bestand er denn noch?

„Das will ich glauben. Hier ist das erste Hest, mit dem soeben der einundzwanzigste Band eröffnet wurde.“

Er zeigte mir einen großen grünen Pappdeckelumschlag, der aber nur nach einen schwarzweiß illustrierten Aussatz „Das Bild im Bilde“ von Hans Vollmer enthielt.

„Die Bilder hängen schon auf. Ich habe mir von unserm Dorsschreiner Rahmen zum Auswechseln billig bauen lassen. Ein Heft kostet 4 Mk., ein Einzelblau 1 Mk. Kann ich mir das ganze Hest nicht leiften, so suche ich mir für 1 Mk. das Bild heraus, das mir am besten gefällt. Und kommen einmal bessere Zeiten, se nehme ich wieder ein Jahresabonnement für 36 Mk.“

„Du warst doch auf der Schule nie ein solcher Kunstenthusiast.“

„Ich war immer für das Echte, darum bin ich wieder Bauer geworden.“

„Und es geht dir vorzüglich.“

„Nach meinem Geschmack, jawohl. Aber so viel hatte ich von meinem kurzen Hineingucken ins gelobte Land der höheren Bildung behalten, daß ich in Kunstdingen eine heilsame Angst vor dem Kitsch mitbrachte. Ich räumte in meinem Elternhaus, sobald ich darin Herr und Meister wurde, mit allen Öldruckgreueln, Photographie-Scheusälern und dergleichen auf. In einer Buchhandlung in der Stadt hatte ich die Seemannschen „Meister der Farbe“ gesehen, ich war auch in Paris gewesen und hatte mir die Bildergalerten angesehen, ich konnte einzelne der Seemann’schen Drucke mit den Originalen vergleichen und ich legte mir allmählich eine ganze Sammlung an. Nicht nur zu meinem persönlichen Vergnügen. Ich habe Kinder - sechs Kinder,“ sagte er stolz verschämt - „drei Buben und drei Mädchen. Wer weiß, ob nicht bei dem einen oder andern ein Künstler im Keim schlummert. So wächst er auf in Gesellschaft anerkannter Meister. Meine Seemann-Bilder ersetzen uns allen die Bildermuseen, in denen der Großstädter seine ästhetische Erziehung gratis genießt.“

TAGS
  • Malerei
KatalognummerBW-AK-013-2991