Original

29. September 1925

Am Samstag verlas im Gemeinderat der Herr Bürgermeister die neue Gehälterordnung. Es hörte sich dabei etwas anachronistisch an, daß er bei jeder Gruppe die Zisser des sogenannten Grundgehaltes vorausschickte. Einer hört zum Beispiel, daß er ein Grundgehalt von 2000 bis 3050 Franken bezieht. Aber bevor er noch Zeit hat, vor Schreck darüber in Ohnmacht zu fallen, erfährt er, daß sein wirkliches Gehalt heute sogen wir mal 14 000 Franken beträgt.

Dies amtliche Festhalten an dem Grund- oder Vorkriegsgehalt hat eigentlich etwas Rührendes an sich. Von oben herab wird dem Steuerzahler vorgetäuscht, daß man dort allen Ernstes an die Wiederkehr des goldnen Vorkriegszeitalters glaubt. Den Beamten wird vor Augen gehalten: Seht, eigentlich hobt Ihr nur Recht aus 2000 Franken, aber wegen der Zeiten Unbill und bis auf weiteres, bis Gott weiß wann Gott weiß was geschieht, geben wir Euch 14 000 Franlen, damit Ihr uns nicht unter den Händen verhungert. Und den andern bringen wir bei, daß Ihr eigentlich nur 2000 Franken bekommt, aber daß wir Euch vorläusig, provisorisch, bis auf weiteres, freibleibend 14 000 Franken auszahlen. Ihr sollt nicht üppig und die andern sollen nicht neidisch werden.

Ach wie gerne säße mancher wieder auf seinem bescheidenen Grundgehalt von 1914, wo man ihm an jedem Monatsersten die rechte Westentasche mit gleißenden und klingenden Goldstücken füllte, statt heute die Brusttasche mit verworren und heimtückisch bedruckten Papierfetzen, die nur den Wert oder Unwert eines Symbols haben!

Aber das Gold ist - manche sagen: zu den Hunden gestohen, wie die Scham - aber anders gemeint. Das war von allen früheren Kriegen her die Gewohnheit des Goldes. Sobeld es in den Schachtelhelmen rauschte, war das Gold verschwunden, entflogen, entslirrt, wie Wild, das den Jäger und seine Hunde wittert. Das Gold hat seine geheimen Höhlen, seine Schlupfwinkel, seine Uferlöcher, in denen es sich rerbirgt. Und ist die Welt noch so voll davon, beim ersten Anzeichen des Sturmes ist das Gold im Nu verflüchtigt.

Und seid sicher, solange die goldnen Vögel nicht wieder sorglos durch den Tag flattern, solange ist die Lust nicht rein.

Im Krieg meinten wir: Oh, wenn der letzte Schuß gefallen ist, dann läuten die Friedensglocken, dann besieht sich ein jeder den Schaden und merkt, daß er klüger und besser den Säbel in der Scheide gelassen hätte, sie geben sich die Hand und gehen wieder hinter Theke und Pflug und Maschine und Retorte und es ist alles wieder gut. Und als Sinnbild dafür, daß alles wieder gut wäre, dachten wir uns eine Friedenstaube mit dem Ölzweig, an dem jedes Blättlein ein Goldstück wäre.

Es kam leider anders. Die Sintflut von 1914-1918 ist noch nicht ganz versickert, die moderne Arche Noah hängt schief auf dem Berge Ararat und Vater Noah traut sich noch nicht heraus. Das Land ist ihm noch nicht trocken genug, und die Taube mit dem goldnen Ölbaumzweig ist noch lange nicht in Sicht.

Und darum haben es die Führer des Volkes noch immer im Instinkt, daß sie das Gegebene von heute als ein Unbestimmtes, Vorläufiges empfinden und sich mit ihrem Hoffen, wenigstens dem Anschein nach, an dem glücklichen Gestern verankern.

Und es klingt gewissermaßen anheimelnd, mit einem Beigeschmack vorkriegsmäßiger Deftigkeit, wenn man immer wieder von diesen Grundgehältern hört, die früher für ein Jahr reichten und bei denen einer heute schon im zweiten Monat verhungern müßte.

TAGS
  • pols: salaries
KatalognummerBW-AK-013-2993