Ihr sagt, jetzt sei die Zeit des letzten Grummets, der Kartosseln, der Äpfel und Zwetschgen, der Kohlen und sonstigen Brennmaterialien und was der notwendigen und nützlichen Produkte mehr sind. Wäre das Jahr nicht so hundsmiserabel gewesen, so könntet Ihr in einem Atem auch die Trauben nennen.
Ich aber sage Euch: Noch sind die Tage der Rosen! Denn noch überprickeln sie das Gelände den Weg entlang mit dem weißen, gelben und leidenschaftlich roten Gefunkel ihrer vollen Kelche. Sie wuchern mit dem Licht, das sie auffangen. Es ist ein Farbengefunkel, das Euch sestlich stimmt.
Und ist es nicht ein Trost, daß neben den Kartosseln die Rosen stehen! Ihr könnt sie nicht essen und nicht trinten, Ihr könnt sie nicht schälen und kochen, braten, rösten, könnt keine Kuchen damit backen, keinen Schnaps daraus brennen, weder Gelee noch Muß noch Ladwerge daraus kochen, sie nicht zu Hemb und Hose weben, keinen Ofen damit heizen, keine Leibesnotdurft damit befriedigen. Sie sind nicht notwendig, nicht nützlich, sie sind nur schön. Ihr werdet von ihrer Farbe und ihrer Gestalt und ihrem Duft nicht satt und nicht fett, nicht warm und nicht kalt.
Aber Ihr werdet davon froh!
Und über der Sattheit und der angemessenen Körpertemperatur steht die Freude, wie der Zweck über dem Mittel steht.
Ihr sorgt für Essen und Trinken und Kleidung und Heizung doch nur, damit das Werkzeug erhalten bleibt, mit dem Ihr froh sein könnt. Euer Leib, den Ihr mit Kartosseln und dem Fleisch der Grummet fressenden Tiere fristet, ist schließlich nur das Organ, das Mittel zu dem Zweck, der Freude heißt. Denn wenn der Mensch nicht zur Freude geboren würde, wäre ihm besser, er würde nicht geboren.
Seht Ihr, daß die Rese mehr ist, als die Kartoffel, mehr als Grummet und Kalb- und Rindfleisch, mehr als Apfelmus und Zwetschgenschnaps. Denn sie ist Schönheit, und Schönheit ist Freude.
Und stärker als alles ist die Freude, denn sie ist die Schwester der Liebe.
Noch sind die Tage der Rosen. Denn die Tage der Rosen dauern länger, als die jeder andern Blume. Sie dauern von Pfingsten bis Allerheiligen.
Während in den letzten Wochen der Herbst uns Sturm und Regen grau und mürrisch um die Ohren schlug, blühten draußen die Rosen eine an der andern. Eilt Euch, damit Ihr seht, wie sie den Michelssommer feiern. Schlagt zum Beispiel von Beggen den Wiesenweg nach Walserdingen ein, und wenn Ihr an das Schild kommt, worauf gut gemeint, aber stilistisch zweifelhaft geschrieben steht: „Verbotener Weg für Kraftwagen und schweres Fuhrwerk“ - so geht diesen Weg entlang. Bald seht Ihr rechts ein Rosenfeld in buntem Blust. Bei seinem Anblick und wenn der leise Dust Eure Nasenflügel zum Beben bringt, vergeßt Ihr, daß die Alzette entlang ganz andere Düfte schweben, und daß die Welt schlecht und böse und das Leben oft häßlich ist und die Menschen sich nicht vertragen wollen, weil sie sich nicht kennen, und daß Ihr bei der letzten Gehaltserhöhung schlecht weggekommen seid, und daß die Ferien um sind, und daß der Schulze Euch beim letzten Geschäft übers Ohr gehauen hat, und daß Ihr den weißen Kaninchenorden wieder einmal nicht bekommen habt usw. usw. Das alles ist vergessen. Ihr denkt nur: Wie schön sind die Rosen und wie lieblich ist ihr Duft und es ist eine Lust zu leben!
Dann kommt vielleicht wieder, wie gestern, der Besitzer des schönen Rosenfeldes und schenkt Euch einen großen Strauß.
Und Ihr freut Euch darüber sicher mehr, als über einen Korb Kartoffeln.