Eine sporadische Erscheinung in unserm Straßenbild war lenge der Schauspieler. Heute geht er mit seinem glattrasierten Gesicht in der Menge unter, früher, wo noch der Bart als schönste Manneszier galt und nur Mimen und Geistliche glattrasiert gingen, konnte man hier mit Fingern auf jeden Schauspieler zeigen. Und alle vierzehn Tage einmal sah man die fremden Gestalten, mon möchte sagen in der Uniform des Kampfes ums Dasein, wie sie die Großstadt herausgebildet hat, durch die Großstraße gehen, pelzvermummt, die Schaufenster betrachten, sich die billigen oder teuern Preise zurufen, über ein Kleinstadtidyll sich verlachen, oder nach einem billigen, aber guten Restaurant fragen, dessen Adresse ihnen ein Pariser Kamerad mit auf den Weg gegeben hatte. Niemand findet so sicher in einer Stadt die guten und billigen Restaurante heraus, wie die wandernden Schauspielertruppen.
Heute bildet das Bühnenvolk schon einen stärkeren Einschlag im Verkehr, zumal seit der Pole Nord sich als das luxemburger Residenztheater ausgetan hat. Alle paar Tage sieht man bei Kiesser-Schumacher neue Gesichter hinter den Spiegelscheiben des Cafés. Junge Leute, die sich in einen Star oder auch nur eine Choristin oder ein Tanzgirl verliebt haben, finden dort willkommene Gelegenheit, bei einem Schälchen Schwarzen oder einem Humpen zu dem Gegenstand ihrer Flamme in Beziehung zu treten. Jeder Zwanziger versteht es heute, als Mäcen zu wirken. Man verplaudert ein reizendes Stündchen und nimmt mit süßbangen Gefühlen und etwas erschüttertem Vertrauen in den Enderfolg das Bild der Geliebten mit hinüber in die Träume, denen man sich über Hauptbuch und Wechselkursen und Corpus juris von Zeit zu Zeit während fünf Minuten hingibt, während die Geliebte auf ihrem Zimmer ihre Unterwäsche und die Kostüme für den Abend nachsieht.
Früher lag das Hauptquartier Thaliens draußen im Parl, wo Papa Amberg die Villa Lonvigny als Gartenwirtschaft, Ballsaal und Kunsttempel betrieb. Dort hausten Wochen, Monate lang die Emanuel Striefes, die Luxemburg von der Bühne des Louviany herunter mit geistiger Kost versorgten, jene Truppen, bei denen unweigerlich die jugendlichen Liebhaber zu jung und die jugendlichen Liebhaberinnen zu alt sind. Wer erinnert sich nicht aus jener Zeit mit wehmütiger Freude des Herrn Theaterdirektors Papa Menzinger (von Menzinger, bitte!) mit Fran, Töchtern, Schwiegersöhnen und solchen, die es werden wollten, und vielen andern Mitgliedern, um die nicht selten ein pikantes Geheimnis seine Schleier wob - eine verstoßene Grasentochter, ein desertierter österreichischer Korvettenkapitän, die hübsche Braune, der sowohl die Maria Stuart wie die Geierwalli auf den Leib geschrieben war und wegen der sich die jungen Kunstenthustasten die Köpfe abrissen, weil die einen schworen, sie sei rein und tugendhaft, während die andern dies höhnisch grinsend in Abrede stellten. Und dann der hübsche, braungelockte Bengel, der entlaufene Sekundaner, der mit träumerisch verklärten Augen uns auf Ehre versicherte, die Menzingers äßen dreimal in der Woche abends warm, und für den die Louvigny-Köchin immer heimlich einen Teller mit Braten und Gemüse beiseite schaffte.
Ist denn das schon wirklich so lange her? Die pittoresken Abende im alten Festungsreduit, wo die Petroleumlampe von dem runden, hohen Steingewölbe hing und die bunteste Gesellschaft beschien, die je bei Bier und Wein und allerhand Kurzweil um einen Tisch herum saß? Ist es vom Louvigny bis zum Brosius wirklich so weit?