Lieber Herr Redakteur! Das hat mich gefreut, daß Sie wieder einmal an den Papa Amberg gedacht haben. Ich habe gestern in der Zeitung gelesen, was Sie über meine Zeit im Louvigny geschrieben haben. Hier oben im Himmel dürfen wir nämlich ruhig die „Luxemburger Zeitung“ lesen, sie denken, es wäre ja doch hier an keinem mehr etwas zu verderben. Ich war neugierig, ob in meinem alten Luxemburg wirklich alles so verändert sei. Ich ließ mir vom heiligen Sankt Peter einen Nachmittag Urlaub geben und fuhr auf einer Wolke hinunter. Ich landete auf dem Zolver Knapp und fuhr dann mit der Eisenbahn nach Luxemburg. Unterwegs fand ich nichts verändert. Die meisten Leute im Zug sagten noch merr und derr und sprachen von Geschäften, wie früher.
Erst als ich aus dem Bahnhof trat, kriegte ich eine Ahnung. Hätte ich um mich herum nicht luxemburgisch reden hören und hätte ich ganz hinten nicht die bekannten Häuser der Altstadt gesehen, ich hätte wahrhaftig gemeint, ich wäre aus einem falschen Zug in einer falschen Stadt ausgestiegen.
Ich hatte Durst und wollte ein Glas Bier trinken. Auf einem großen Platz, wo mitten drauf etwas steht, das für einen Kiosk nicht praktisch und für eine Bedürfnisanstalt zu feierlich ist, war rechts an der Ecke ein schönes Lokal mit Spiegelscheiben, dahinter saßen viele Gäste, die mit andächtigen Gesichtern vor sich hin lauschten. Denn auf einem Podium stand ein junger Mann und geigte, und jetzt sah ich, daß auch ein Klavier dastand und daß daneben ein anderer junger Mann seinen Bogen schwungvoll über die Satten eines Cello führte. Es ist nichts dummer, als Musik sehen, die man nicht hört. Also ging ich hinein. Wieder hatte ich, wie auf dem Bahnhof, das Gefühl, ich sei in der Fremde. Ich sah mich um, sicher, wenigstens ein paar Tische mit Bekannten zu entdecken. Ich kannte doch meinerzeit die ganze Stadt und die ganze Stadt kannte mich. Aber je mehr ich mich umsah, desto fremder kam mir die ganze Gesellschaft vor. Ein Glück, daß alles luxemburgisch redete, sonst hätte ich gemeint, ich wäre in Paris.
Jetzt bemerkte ich, daß eine freundliche junge Dame hinter der Kasse thronte. Sie winkte mir lächelnd zu, als begrüßte sie einen alten Bekannten, und als ich auf sie zugehen wollte, kam ein ganz junger Mensch und frug mich, ob ich schon bedient würde, und wies mir einen bequemen Eckplatz auf einem Sofa. Gleich kam ein Kellner. Auch den kannte ich nicht. Ich, der ich doch früher alle sieben Kellner kannte, die es in Luxemburg gab, ich entdeckte zu meiner Beschämung, daß dies ganze Bedienungspersonal mir total fremd war.
Als der Ganymed in der weißen Jacke mein Glas Bier brachte, frug ich ihn, wer denn der Jüngling sei, der sich meiner eben so freundlich angenommen hatte. Was! erstaunte er sich. Ob ich denn den Patron vom Paris-Palace, den Erfinder des Majestic, den Brauns Pierchen nicht kenne! Also das war der Herr vom Ganzen! Und ich hatte ihn doch fragen wollen, ob er schon seine dritte Kommunion gemacht hätte. Als ich dann vollends hörte, die freundliche junge Dame auf dem Kassenthron sei seine Frau, da bekam ich wirklich Respekt vor ihm.
Während ich mein Glas Bier trank - es war schon das dritte - wartete ich noch immer darauf, daß Bekannte herein kämen und ich stellte mir schon vor, was sie für Augen machen würden, wenn sie mich sähen. Aber von allen, die da saßen, kamen und gingen, kannte ich nicht einen einzigen, nicht Mann noch Frau noch Kind. Einige waren dabei, die mit mir gleichen Alters waren, die hätte ich doch kennen müssen. Wo kamen all diese fremden Luxemburger her?
Zuletzt ging ich auch in den Speisesaal und dachte, dort endlich einen alten Bekannten zu sehen. Umsonst! Alles fremde Gesichter, aber alles Luxemburger. Es war ein Lichtblick, daß ich auf der Weinkarte wenigstens Herrn Norbert Le Gallais fröhlichen Andenkens mit seinem Wiltinger Kupp 1920 wiedersah. Oh welche Erinnerungen tauchten auf!
Dann trank ich wieder in der Bar meinen Kaffee Ich hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Ich dachte, wenigstens Herr Albert Klensch käme herein und setzte sich zu mir und redete mit mir von den alten Zeiten. Aber nein, auch der kam nicht.
Da glaubte ich, was mir die letzten Ankömmlinghier oben gesagt hatten: Luxemburg sei jetzt so groß, daß man Tage lang durch die Lokale gehen könnte, ohne einen bekannten Menschen zu treffen, und daß um sechs Uhr in der Großstraße massenhaft hübsche junge Mädchen spazieren gehen, von denen ich nicht eine einzige mit ihrem Vornamen nennen könnte.
Ich ging zum Überfluß auch noch in die Großstraße. Es stimmte. Ich hatte genug. Ich fuhr heim.
Als ich meinen Freunden Bauschel und Charles Brandenbourg nach meiner Rückkehr beim Bierskat meine Erlebnisse erzählte, wollten sie mir wieder nicht glauben.
Ich hätte nicht übel Lust, da drunten wieder einmal anzufangen.
Mit besten Grüßen Ihr Adolph Amberg Vater, zurzeit im Himmel.