Original

24. Oktober 1925

Zeit: 22. Oktober 1925, 6 Uhr nachmittags.

Ort: Luxemburg, Königsring, vor dem Crédit Anversois.

Personen: Der Charly, eine entgleiste Lokomotive, 1., 2., 3. Bürger, Eisenbahner, ein Spaßvogel, ein Pfaffentaler, ein Luxemburger Amerikaner, ein Deutscher, der Geist des Herrn Mathias Beaucolin selig, Polizisten, Volk usw.

1. Bürger (der eine Zeitlang mit zugesehen hat, wie Männer in Uniform und Hemdärmeln mit Windlichtern, Winden, Schraubenschlüsseln usw. an der Lokomotive und an den Schienen hantieren): Was ist hier los?

2. Bürger: Ich weiß es nicht, ich stehe auch schon eine halbe Stunde hier.

3. Bürger: Ich habe einen Eisenbahner gefragt.

1. Bürger: Und?

3. Bürger: Er hat gesagt, ich soll die Regierung fragen.

2. Bürger: Es ist nicht damit genug, daß dumme Witze gemacht werden.

3. Bürger: Ich habe es immer gesagt, die Kerle fahren wie die Schweine.

Der Spaßvogel: Ich habe noch kein Schwein einen Zug fahren sehen.

1. Bürger: Ich erinnere mich sehr gut der Zeit, wo überhaupt noch keine Züge fuhren.

3. Bürger: Ach ja, die gute alte Zeit! Da wäre so was gar nicht möglich gewesen.

2. Bürger: Was ist denn nun eigentlich passiert?

Ein Polizist: Ich habe dem Zugführer ein Protokoll gemacht.

2. Bürger: Darum der Auflauf?

Der Polizist: Der Rest ist eine Entgleisung.

3. Bürger: Aha, ich habe es ja immer gesagt.

1. Bürger: In meiner Jugend wäre eine Entgleisung gar nicht möglich gewesen.

Der Spaßvogel: Weil damals die Mädels noch keine Röcke bloß bis an die Kniee trugen.

1. Bürger: Nein, mein Herr, weil es damals noch keine Gleise gab.

2. Bürger: Damals konnte man noch ruhig über die Straßen fahren, ohne zu befürchten, daß man mit dem Vorderrad in ein Geleise geriet.

3. Bürger: Da liegt die doppelte Gefahr der Geleise.

Der Spaßvogel: Die einen entgleisen, wenn sie in die Geleise, die andern, wenn sie aus den Geleisen geraten.

Der Luxemburger Amerikaner: Bei us in Amerika kommt das nicht vor. Wir trinken nur Wasser.

Der Schlauberger: Glaubst du, wir schütten unsern Lokomotiven 21er Heiligenhäuschen vom Wenglesch Pitt in den Bauch?

1. Bürger: Passiert es drüben bei Euch in Amerika nicht, daß eine Lokomotive entgleist?

Der Luxemburger Amerikaner: Doch. Aber in fünf Minuten ist es all right.

1. Bürger: Was tut Ihr in dem Fall?

Der Luxemburger Amerikaner: Wir sprengen sie mit Dynamit aus dem Weg.

2. Bürger: Auch wieder so eine Erfindung der neuen Zeit.

3. Bürger: Überhaupt wäre es die höchste Eisenbahn, daß dies Monstrum aus dem Stadtbild verschwände.

Ein Heizer: Warum denn?

3. Bürger: Schon wegen dem stinkigen Rauch, den es uns sechsmal am Tag in die Fenster pustet.

Der Heizer: So? Und ich denn? Muß ich den stinkigen Rauch nicht den ganzen Tag einatmen? Meinen Sie denn, ich schluckte nicht lieber die Luft von St. Moritz?

3. Bürger (für sich): Auch so ’n Bolschewiki!

Der Pfaffentaler: Wir wären froh, wenn wir das Monstrum im Pfaffental hätten.

Der Deutsche: Da soll doch einer junge Hunde kriegen! Bei uns zuhause stände längst ein Doppelposten da und stippte jedem Maulaffen den Gewehrkolben ins Gesäß.

Der Polizist: Zurück da, Ihr Herren - Sie auch, Herr Maulasse!

1. Bürger (nachdenklich): Wie schade, daß die Entgleisung nicht in Echternach stattgefunden hat.

Der Spaßvogel: Sehr richtig! Wo in Echternach so wenig los ist. Der Charly sollte wirklich von Zeit zu Zeit eine künstliche Entgleisung in Echternach veranstalten, vorwiegend Sonntags, und es acht Tage vorher im „Echternacher Anzeiger“ bekannt machen.

Der Geist des Herrn Mathias Beaucolin selig: Ech versti jo dach neischt dervun, eddi dir Heren, je m’imprime, ech drëcke mech. ab.)

(Um die entgleiste Lokomotive geht die Unterhaltung weiter bis spät in die Nacht. Ein Autocar mit Ausflüglern und mehrere Privatautos treffen von Echternach ein. Beim Funny wird das Ereignis bis zum Morgengrauen besprochen.)

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  • dialogue: little play/theatre
KatalognummerBW-AK-013-3015