Original

29. Oktober 1925

Ein junger Mann kam zu mir und fragte, welchen Beruf er wohl am besten ergriffe.

Ich sagte erst, ich wisse zwar genau, zu welchem Beruf ich ihm aus sicherer Kenntnis der Sachlage nicht raten würde, nicht aber, welchen ich ihm vor allen andern empfehlen sollte. Ich stellte ihn vor die bekannte Wahl: Jurist, Mediziner, Ingenieur, Professor, Architekt, Zahnarzt, Kaufmann, Schiffskapitän, Flieger, Weltbummler, Brunnengräber, Strohdecker, Künstler, Dichter, Journalist usw.

Er winkte jedesmal ab. Nein, sagte er, die Welt und das Leben seien nicht umsonst so weit und groß und vielgestalt, und wer sie richtig auffasse, müsse sie auch ganz umfassen, in all ihren Tiefen und Höhen, und sich nicht nur auf einer Seite festbeißen und sich dort eine Höhle ausbuddeln, um darin zu leben und zu sterben. Ein Arzt? Was der vom Leben denn weiter und anderes kenne, als das Sterben? Und ein Ingenieur? Dem sei die Welt ein Schwungrad, dem Professor eine Schulbank, dem Juristen ein Codex, alle seien sie einseitig verknöchert, keine Menschen mehr, sondern verschrumpfte Berufsfexe.

Da bekam ich eine Idee.

„Junger Mann!“ sagte ich. „Junger Mann, ich weiß einen Beruf, für den Sie mit Ihren Anschauungen sich begeistern müssen: Werden Sie Detektiv. Luxemburg hatte bis jetzt Vertreter aller Berufe, nur noch keinen Detektiv, soviel ich weiß. Sie werden der erste luxemburger Detektiv, wie Dicks der erste luxemburger Dramatiker war. Darauf kommt es an: daß man der erste sei, die Reihe eröffne. Es können größere kommen, aber der Erste kann als Erster nicht mehr übertrumpft werden. Junger Mann, werden Sie Detektiv!“

Es schien ihm unter die Haut zu gehen.

„Sehen Sie,“ fuhr ich fort, „als Detektiv können Sie in der Welt und im Leben nach Höhen und Tiefen, nach Länge und Breite herumfuhrwerken, wie ein Komet oder ein Meteor im Himmelsraum. Sie legen sich auf nichts fest, alles und jedes ist Ihres Amtes.“

Ich wurde warm überm Reden und überlegte, ob ich nicht alles lieber für mich behalten und selber Detektiv werden sollte.

„Detektiv sein heißt alles und überall sein. Der Beruf ist in jedem Betracht ein Ideal. Ethisch: Bedenken Sie, Sie sind das Werkzeug, mit dem die Guten belohnt, die Bösen bestraft, die Schwachen beschützt, die Starken im Zaum gehalten werden. Sie sind der Hüter der Ordnung, die gütige und kluge Vorsehung, die Sicherung gegen Kurzschluß, die Zuflucht der Witwen und Waisen, der getreue Eckhardt der Gesellschaft auf allen ihren Stufen. Denn gibt es Gute und Schlechte, Spitzbuben, Diebe, Mörder so gut wie unten. Ja, man könnte ein geflügeltes Wort umbiegen und sagen: Es wächst der Spitzbube mit seinen höheren Zwecken. Da haben Sie den Beruf in dem Sie kreuz und quer die Welt und das Leben nach allen Richtungen und in jedem Ausmaß durch arbeiten können.

Freilich, Sie müssen das Zeug dazu haben. Fühlen Sie sich stark und gescheit genug? Sind Sie intellektuell und manuell zugleich? Haben Sie ebensoviel Spaß am Boxen, Schießen, Reiten, Fischen, Jagen, Schwimmen, Auteln, Fliegen wie an Einstein und Nietzsche ist Ihr Herz gegen die stärkste Havanna wie gegen den schwersten Einundzwanziger gefeit, sind Sie der Liebe ebenso fähig wie des stillen Verzichts, sind Sie zynisch und naiv, skeptisch und kindlich, phantastisch und nüchtern, wissen Sie im Schminken, in falschen Bärten, in Antiquitäten, Giften, Kunst, Dichtung Gesetzeskunde, Ballistik, Spiritismus, Okkultismus, Gastronomie usw. Bescheid, reden Sie außer deutsch und französisch geläufig englisch, italienisch, spanisch, russisch, japanisch, chinesisch, portugiesisch, polnisch, jiddisch, Kölsch, Ido, Echternachisch und einige andere Weltsprachen?“

So sprach ich, immer eindringlicher, auf den jungen Mann ein. Ich hatte nicht gemerkt, daß er während meiner begeisterten Rede auf leisen Sohlen zur Tür geschlichen und hinaus geschlüpft war.

Ich habe seither gehört, er sei bei einer jungen, reichen, hübschen Witwe als Chauffeur eingetreten.

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    Katalognummer BW-AK-013-3019