Lasset uns einen Lobgesang auf die Tanten anstimmen.
Im Volksmund werden sie nicht immer respektvoll behandelt, aber jeder weiß, daß sie besser sind, als ihr Ruf. Das haben sie mit den Schwiegermüttern gemein.
Das Beste an den Onkeln sind in der Regel die Tanten.
Freilich, jawohl, Sie haben recht, es gibt schlechte, es gibt böse, es gibt minderwertige Tanten, wie es im Weinbau Mißjahre gibt. Schlägt aber eine Tante richtig ein, dann ist sie ein Geschenk des Himmels, wie der Wein von Einundzwanzig. Ein Segen für die Familie, soweit sie aus Neffen und Nichten besteht.
Denn wer zu einer Tante nicht im Verhältnis eines Neffen oder einer Nichte steht, für den ist sie als Tante nicht da. Für den ist sie die Kulisse, die er von der Rückseite sieht, die Sonne, die hinter dem Berg steht und ihn nicht bescheint. Für den ist sie eine gleichgültige, beziehungslose, neutrale, amorphe Frau, aber keine Tante.
Tritt sie als Tante in die Erscheinung, so ist sie ein Segen. Sie ist das Mittelding zwischen Mutter und Kusine. Es gibt junge und es gibt alte Tanten. Die jungen sind wie Kusinen, denen man nichts zu schenken braucht, aber die einem immer was schenken. Mal eine Krawatte, mal eine Flasche Curaçao - wenn sie ihn selber gerne trinken -, mal eine große Schachtel Zigaretten - wenn sie selber rauchen, und dann ihre Lieblingsmarke. In junge Tanten darf man sich ebenso verlieben, wie in Kusinen.
Ältere Tanten haben von einer Mutter alles Liebenswerte, Gütige, Verzeihende. Wenn man sich vor dem Onkel fürchtet, der Tante sagt man alles, sie ist die Verbündete, die Retterin in der Not, die Gute, die alles versteht und alles verzeiht.
Wer keine solche Tante hat, kann eine adoptieren. Adoptivtanten sind oft ein voller Ersatz für richtige Tanten, zumal wenn sie Töchter haben, die man dann als Adoptivkusinen in den Kauf hat.
Junge Tanten haben mich immer an Mandeln erinnert, die man ißt, wenn sie noch grün sind.
Aber eine richtige Tante wird doch erst daraus, wenn sie in dem Alter stehr, in dem sie deine Mutter sein könnte.
Da du mit deiner Mutter aufgewachsen bist, erscheint sie dir niemals alt. Die Entfernung zwischen Euch bleibt dieselbe, wie sie zwischen dir und dem Mond dieselbe bleibt, auch wenn du im Auto mit 120 in der Stunde auf ihn zufährst. Deine Mutter ist für dich immer so jung, wie sie war, als du sie kennen lerntest. Tanten, die wie Mütter sind, werden für dich darum auch niemals alt.
Die Tante tritt in endlosen Varianten auf. Als Blutsverwandte kann sie die Schwester deines Vaters oder deiner Mutter sein. Es besteht eine Theorie, wonach die liebsten Tanten immer die von der mütterlichen Seite sind. Warum sollte man keine Rundfrage darüber veranstalten?
Dann gibt es die angeheirateten Tanten, solche, die du dir selbst angeheiratet hast, und solche, die andere dir angeheiratet haben. Es gibt lustige Tanten, die auf Logierbesuch mit Jubel begrüßt und beim Abschied mit einem aufrichtigen „Auf Wiedersehen“ entlassen werden, es gibt elegische Tanten, kokette Tanten, schöne und weniger schöne, feierliche und fahrige, verheiratete und ledige Tanten, Tanten mit Kindern und ohne Kinder, mit nur Söhnen oder nur Töchtern oder beiden. Alle Tanten zusammen mit ihrem Anhang bilden einen Schoß der Familie. Denn die Familie hat allerhand Schöße.
Aber der liebste nach dem Mutterschoß ist allemal der Tantenschoß.