Original

4. November 1925

Stufe um Stufe steigt das Leben durch den Herbst hinunter dem Grabe zu.

Wir freuen uns am Abstieg, denn er ist für uns Bereicherung. Das ewige Leben tut seine Schätze von sich ab und wirft sie uns in den Schoß, und wir freuen uns ihrer Schönheit und wissen, daß sie uns über die Öde des Winters hinweg helfen werden.

Kirschen und Beeren waren noch die roten, süßen Kinder des Sommers. Mit den ersten Äpfeln und Birnen sagt sich der Herbst an, sie sind der erste Schmuck, den die Erde abzulegen beginnt, wenn sie sich zur Ruhe rüstet. Wenn zuerst die Augustmorgen sich mit Nebel überschleiern, beginnt die Apotheose der Erfüllung und steigert sich, bis die letzten Trauben an den Hängen geerntet sind.

Dann ist das Jahr zu Ende. Das fahlgelbe welke Weinlaub trauert und fröstelt in der Landschaft, als ob eine müde Pierrette ihr zerknülltes Tanzkleidchen morgens nach dem Ball an einer kahlen Hecke aufgehängt hätte.

Flugs kommt die Kirche und macht den Beschließer, tut, als sei es ganz ihr Jahr gewesen, zu dem Allerseelen das Tor wäre, das sich nun schweigend und unheimlich über der vergangenen Herrlichkeit schließt. Und dahinter liegt die ödeste Strecke zwischen den beiden Polen des Jahres, von Allerseelen bis Weihnachten ist es ein ungemütliches Aufwaschen, es ist der Menschheit zumut, sie sei nirgends zuhaus, als hinterm warmen Ofen und bei der Lampe Dämmerschein, etwas wie ein gelinder Katzenjammer ist über sie gekommen nach dem Sonnenrausch des Sommers und der Festtafel des bescherungsfrohen Herbstes. Jetzt wären zum Fasten alle eher aufgelegt, als über drei, vier Monate, wenn schon die Säfte wieder steigen - aber der Frühling war für die Hygieniker von jeher die richtige Zeit zum Fasten und Purgieren, und seit dem Alten Testament haben sich die Religionen mit ihren Gottesgeboten immer gern an die Hygiene gehalten.

Wer übrigens in diesen Tagen draußen herum auf den Friedhöfen war, konnte sehen, daß es mit der Verinnerlichung auf den Gräbern, der AllerseelenSeelensammlung, nicht weit her war. Die Weltlichkeit und Eitelkeit haben sich des Festes bemächtigt und suchen darin Genugtuung. Es ist ein Vorwand zum Schmücken, und wer den Leuten Gelegenheit gibt zum Schmücken, sei es sich, sei es etwas anderes, seien es gar die Gräben ihrer Lieben, oder was sie von Kindsbeinen als Puppen gehalten haben, der tut ihnen den größten Gefallen. Schon Tage vorher sah man sie geschäftig um die Gräber hantieren, die Granitund Marmordenkmäler mit Astern und Chrysanthemen umpflanzen, wenn zwischen Marmor und Granit überhaupt noch ein Stückchen Erdreich von dem Grabhügel übrig war, in das ein Blumenstock seine Wurzeln senken konnte. Es ist oft gesagt worden, die Schönheit unserer Friedhöfe sei in Protzigkeit verkehrt. Daran sind wir schuld, die wir aus dem Schmuck der Gräber eine Sache der Eitelkeit machen, aus dem schönsten Grabstein wie aus dem schönsten Hut, dem pompösesten Titel und dem umworbensten Ordenskreuz.

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KatalognummerBW-AK-013-3023