„Nimm doch einen Stock mit,“ pflegte meine Mutter zu sagen. „Du kommst daher, wie ein Schneider. Du kannst nicht einmal einen Hund abwehren!“
Meine Mutter war aus einer Zeit, wo der Stock zu den Manneszierden gehörte, wie der Bart und das Berlock an der Uhrkette. Nur die Schneider schienen sich dadurch auszuzeichnen, daß sie keinen Stock trugen.
Das Militär umgürtet seine Lenden mit dem Schwert und braucht keinen Stock. Nur vereinzelt macht der Krückstock des großen Fritz bei höhern Offizieren Schule. Sie tragen ihn aus malerischen Rücksichten, beileibe nicht als Waffe. Aber da hört die Angliederung ans Zivil auf. Bis zum Regenschirm hat sich der Soldat nie heruntergelassen.
Jetzt sehen wir in unsern Straßen einen verwandelten, einen gewissermaßen kriegerisch gehobenen Stock, der berufen ist, die Uniform zu betonen. Unsere Polizisten tragen seit gestern eine zierliche, weißlackierte Keule, die freilich nicht als Waffe gedacht ist, aber im Notfall als Knüppel zur Aufrechterhaltung der Ordnung gewalttätig in die Erscheinung treten kann. Normal und offiziell soll sie lediglich als Leuchtturm über der Brandung des Verkehrs dienen. Wenn an einer Straßenkreuzung Wagen und Fußgänger sich derart stauen, daß daraus ein Chaos entsteht, erscheint über aller Häuptern die weiße Polizeikeule und dividiert die Wirrnis fein säuberlich auseinander nach allen vier Windrichtungen. Ich vermag mich sehr gut in die Empfindungen eines solchen Wächters der Ordnung hinein zu versetzen. Dieses greifbare Symbol seiner Macht gibt ihm erhöhtes Selbstbewußtsein, es ist sein Marschallstab, und er hat was in der Hand. Etwas in der Hand haben, das ist wie eine Verlängerung des Ich in die Umwelt hinein, ein Vorwand und ein Anlaß zur Auswirkung jeglichenBetätigungsdranges.
In gewissem Sinn steht dieses Szepter zum Polizisten, wie der Dackel-Regenschirm von heute zur modernen Frau. Die Losung der Mode heißt dünn und schlank, und die Gedrungenheit des gesellten Objekts ist der Persönlichkeit Folie.
Gegen den modernen Schirm, den sie Tom Pouce nennen, wäre nichts einzuwenden, solange ihn seine Besitzerin nicht horizontal unterm Arm trägt. Wer seinen Stock oder Schirm wagerecht unterm Arm trägt, verrät damit, daß er nicht gewohnt ist, sich im dichten Verkehr der Großstadt zu bewegen. Es ist eine üble Angewohnheit, die zu den schlimmsten Folgen führen kann. Dieser Tage geschah es, daß in der Elektrischen ein Herr einer Dame seinen Platz anbot. Sie sagen, auch dies sei schon ein Zeichen kleinstädtischer Gesinnung gewesen, im Kampf ums Dasein einer Millionenstadt heiße auch Damen gegenüber die Losung: Jeder für sich! Nun trug besagte Dame ihren Tom Pouce horizontal unterm Arm und fegte damit, als sie sich Dank stammelnd herumdrehte, um den angebotenen Platz einzunehmen, dem Cavalier den Kneifer von der-Nase.
Und weil wir grade vom Hundertsten ins Tausendste fallen: In Brüssel bot dieser Tage ein Herr in der Elektrischen einer ältern Dame seinen Platz an. Sie setzte sich, erblickte im selben Augenblick auf der Plattform einen jungen Abbé, stand auf und wollte diesen auf ihren Sitz nötigen. Der Herr setzte sich darauf selber wieder hin und die Dame erklärte, er sei ein Grobian. Die Fahrgäste lachten, der Herr lachte mit und sogar der junge Abbé konnte sich eines Lächelns nicht erwehren.
Eines Tages war ......., aber nein, das ist eine andre Geschichte.