Original

13. November 1925

„Luxemburg ist die zweitschönste Stadt Europas,“ hörte ich kürzlich einen weitgereisten Mann sagen.

Es ist wirklich viel damit erreicht, daß man uns nun schon im Vergleich mit andern schönen Städten zu werten anfängt. Der Krieg hat die Menschheit umgerüttelt, wie Erbsen im Sieb, es gibt unzählige Europäer, die unser Festland von Gibraltar bis Nischni-Nowgorod und von Konstantinopel bis Bergen durchmessen haben und sich ein Urteil, wie obiges, wohl zutrauen dürfen.

Ob wir nun im Schönheitsbewerb der europäischen Städte den zweiten, dritten, vierten Preis oder auch nur ein Akzessit verdienen, wir dürfen uns der Anerkennung freuen.

Wenn sich verbreitet, daß irgendwo im Verborgenen eine liebliche Mädchenblüte steht, dann kommen immer mehr Freier, ihr zu huldigen.

Unsre Freier sind die Fremden, die herumreisen, um von den Schönheiten der Welt durch sehendes Erleben Besitz zu ergreifen, und ihre Huldigungen übersetzen sich in Bargeld.

Ist denn unsre liebe, gute, alte, einst so arg von Kriegsunbill zerschundene, jetzt die gesprengten Festungsgürtel übergrünende Stadt Luxemburg, die Stadt Melusinas und Vaubans, die Stadt der Rosen und der Abgründe, - ist sie denn wirklich so schön, wie es die Fremden von ihr sagen?

Sie spiegelt sich nicht in Fluß und See noch Meeresbläue. Sie ist nicht Ostende noch Brighton noch Trouville noch Monte Carlo noch Genua noch Zürich noch Genf noch Lugano, Como, Locarno, Neapel, sie darf sich sogar freuen, so hoch zu liegen, daß sie sich in dem Gewässer, das ihren Fuß bespült, nicht zu spiegeln braucht. Aber die Fassung all dieser Städtejuwelen ist eintönig, das Juwel Luxemburg hat eine Fassung von verwirrender Vielfältigkeit. Das ist ihre Schönheit eigener Art: daß der Blick hinaus und herein um jede Ecke herum ein neues Bild entdeckt.

Wir haben im Stadtinnern außer dem großherzoglichen Schloß keinen größeren Bau, der von ästhetischen Strebungen unsrer Vorfahren kündete. Wer hätte auch monumentale Bauten oder architektonisch merkwürdige Häuser errichten wollen, wo jeden Montag Morgen ein andrer General seine Kanonen auf den Höhen rundherum aufstellte! Was an Luxemburg von Menschenhand herrührt, entfaltet seinen Zauber nur aus der Entfernung. Geht an einem hellen Morgen oder bei strahlendem Sonnenuntergang nach Drei Eicheln oder an den Kiem oder an den Kuhberg, an den Tavion, oder noch weiter, auf die Straße nach Bridel, oder auf das Plateau hinter Dommeldingen, wo der Weg nach der Toten Frau führt, und sagt, ob Luxemburg nicht als Märchenstadt daliegt!

Und Tage lang könnt Ihr es umwandern, es sind in seinem Umkreis so viel genußreiche Schleifenwanderungen zu machen, wie Blätter an einem Maßliebchen sind: Hinaus mit dem Blick auf Wälder und Höhen und in lockende Täler, herein gegen ein Panorama, das weit und breit seinesgleichen nicht hat, bei jeder Beleuchtung, selbst bei Nacht, wenn der Lichterzauber der Gegend um den Bahnhof eine Weite und Bedeutung vortäuscht, die Großstadtbilder wachruft.

Noblesse oblige. Die Fremden kommen immer häufiger und bleiben immer länger. Nicht bloß wegen ihrer überlebensgroßen Valuta. Auch wegen des Hotels und wegen der angenehmen Lebensrhythmen. Sie genossen Luxemburg im Sommer und wollen es versuchsweise im Winter genießen. Sagt nicht: Sie sind nur ein halbes Dutzend. Sie sind die Samenkörner, aus denen die Saat aufgehen kann, die wir brauchen, damit unsre Stadt ihren Beruf nicht verfehlt.

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    Katalognummer BW-AK-013-3031