In diesen zwei Versen hat Dicks ein Stückchen Kultur aus dem Biedermeier-Luxemburg hell auf den Lichtschirm der Geschichte projiziert. Sogar noch aus den Jahren lange nach der Biedermeier-Zeit und nach dem 70er Krieg. Mit Wehmut denken wir der Abende, wo die geschlossenen Landauer über das hoch beschneite Pflaster wie über Watte auf den alten Cercle losrollten - wirklich rannten, wie Dicks singt, denn sie hatten es eilig, daheim in allen guten Bürgerhäusern warteten Er und Sie, geschnürt und geschniegelt, daß die „Knebgeskutsch“ sie abholen sollte. Alle Minuten rollte es heran, ein Teppich lag aus dem lampenhellen Treppenhaus heraus bis aufs Trottoir, ein weiß beschuhter Fuß tastete unter knisterndem, seidenen Kleidsaum vor, reichte bis auf den Teppich, ein zweiter folgte, ein Herr im Frack mühte sich um die Schleppe - denn die Damen tanzten in Schleppen! Und Frauen und Mädchen aus dem Volk bildeten Spalier, froren daß Gott erbarm und spürten es nicht vor Neugier und Erregung.
Es war doch ein merkwürdiges Bevölkerungsgebilde, das alte Luxemburg. Ein Braten, an den durch die Jahrhunderte allerhand Gewürz gekommen war, keltisches und römisches, spanisches, französisches, österreichisches, belgisches und niederländisches, preußi- sches und polatisches - und der trotzdem immer gut luxemburgisch geschmeckt hat. Unter der dünnen Oberschicht, in der sich die Drahtzieher auswirkten, ob sie Hassenpflug, Bischof Laurent, ro’den Heentz oder wie sonst hießen, lebte die tiefe Masse des Volks ihr Eigenleben, das von den politischen Weichenstellervelleitäten Unberufener nicht berührt wurde.
So ist es bis heute geblieben. Von Zeit zu Zeit wird ein schüchterner Versuch gemacht, uns aus der Bahn und einem größern Nachbar in die Arme zu drängen. Aber das Gespann zieht seinen graden Weg, unbekümmert um das Hott! und Hüh! der amtlichen oder unamtlichen Fuhrknechte.
Die Fremden, die sich hier mit unbefangenen Sinnen umsehen, erfassen die Eigenart sofort. Der Deutsche findet nach seinem Geschmack das Französische, der Franzose das Deutsche der Belgier beides zu stark betont. Alle drei find zu eng in den heimischen Gewöhnungen befangen. Der englische Colonel, der, wie so viele Engländer, in der Welt schon überall zuhaus war, macht sich auf unser Wesen den richtigen Vers. Ihr habt, sagte er, vom Franzosen und Belgier und Deutschen je einen Einschlag, aber daraus wird ein Viertes, das wiederum als Besonderes seine Daseinsberechtigung und seine Annehmlichkeiten hat.
Die Engländer wußten schon lange die Vorzüge der Rassenkreuzung zu schätzen. Werden wir nicht üppig und berufen wir uns nicht darauf, daß das Kreuzungsprodukt sehr oft höher steht, als die Kreuzungsfaktoren, aber seien wir auch nicht bescheidener, als es sich für uns schickt. Pflegen wir unsere Eigenart, solange wir nicht in einem großen Kladderadatsch untergehen. Einstweilen liegen wir noch am Kreuzweg der Völker zwischen Ost und West, nicht nur, daß wir im Materiellen das klassische Land aller Genüsse von rechts und links sind, einen schönen Burgunder nicht minder zu schätzen wissen, als einen blumigen Piesporter oder einen rassigen Wiltinger und einen Humpen Münchener oder Pilsener, nicht nur, daß unsere Hausfrauen die köstlichsten Rezepte für Pasteten, für Krebse, Kuttelfleck, Hasenpfeffer, Treipen usw. in ihren Schubläden bewahren, nicht nur, daß sämtliche Edelschnäpse der Welt, von einer Fine Monnet Salamandre 1858 bis zum gesetzwidrigen Zuckerbrand 1925 hier in nie gesehener Vollständigkeit vereinigt sind - wir sind komplex auch mit dem Gehirn und mit dem Herzen, mit dem Verstand und mit dem Gefühl, wir geben uns keinem Nachbarn gefangen, weil das Wesen aller uns einseitig anmutet.
Wir sind so, wie die Welt werden muß, soll die Ära des ewigen Friedens anbrechen.