Original

17. November 1925

Am Dienstag, 7. Oktober 1828, „war Goethe von besonders guter Laune und überaus mittheilend,“ lesen wir bei Eckermann. „Die letzte Oper, Moses, von Rossini, ward viel beredet.“ Goethe äußerte: „Ihr sagt, das Süjet tauge nicht, aber Ihr hättet es ignoriert und Euch an der trefflichen Musik erfreut. Ich bewundre wirklich die Einrichtung Eurer Natur, und wie Eure Ohren im Stande sind, anmuthigen Tönen zu lauschen, während der gewaltigste Sinn, das Auge, von den absurdesten Gegenständen geplagt wird.“

Goethe ist also dafür, daß das Auge, wo eine Genußmöglichheit für es vorhanden ist, nicht leer ausgehen soll.

Nun hat der Verlag F. A. Brockhaus in Leipzig diesen Wunsch Goethe’s in Betracht eines Werkes erfüllt, das in seiner Art, in der Art, wie es uns einen der Größten aller Zeiten greifbar nahe bringt, einzig dasteht: Eben jene Eckermann’schen Gespräche mit Goethe, in denen über das letzte Jahrzehnt eines so überaus reichen Lebens liebe- und verständnisvoll Buch geführt wird.

Hier ist „der gewaltigste Sinn“, das Auge, mit beim Fest. Man legt den Band aus der Hand mit dem physischen Empfinden, Tage lang in der Gesellschaft des Goethe’schen Kreises in Weimar verbracht zu haben. Daß von den Goethe-Bildnissen die besten den Text begleiten, versteht sich von selbst. Aber auch wenn von irgendeiner hervorragenden Persönlichkeit die Rede geht, die bei Goethe grade zu Besuch war oder um die sich eines der Gespräche drehte, kommt das Bildnis der Phantasie oder Erinnerung zu Hilfe und bietet der in Bewegung gesetzten Gedankenarbeit einen willkommenen Halt. Eckermann erzählt, daß Goethe ihm einen Stich, eine Plastik, eine Medaille, einen geschnittenen Stein vorlegte, über die sich die Rede verbreitete: Gleich steht nebenan die Abbildung des Gegenstandes und versetzt den Leser in die unmittelbarste Nähe der Redenden. Ein Zimmer aus dem Goethehaus wird erwähnt, gleich öffnet ein Cliché die Aussicht auf eine ganze Flucht. Dieses Unmittelbare, Evokatorische des Eindrucks hat hier die Stärke blutwarmer Wirklichkeit. Der Duft der Dinge ist um uns, wir sind in dem Weimar der Jahre 1823 bis 1832 zuhaus und alles, was mit Goethe zusammenhing, wird uns vertraut und lebendig. Der Verlag Brockhaus hat mit diesem Buch allen Gvethe-Verehrern ein Geschenk gemacht, das sie als einen Familienschatz halten werden.

Hierzuland werden sich um so mehr literarisch Interessierte dieser neuen Ausgabe zuwenden, als das Bedürfnis nach eingehenderem Wissen um Goethe seit Nik. Hein’s trefflichem „Goethe in Luxemburg“ sich vertieft haben muß. Goethe gehört zu den stärksten Heilmitteln gegen die Rachkriegspsychose von heute in allen ihren Auswirkungen und darum kann man nicht genug tun in der Richtung einer immer stärkeren Durchdringung der Zeit mit seinem Geist.

Lieber Leser und liebe. Leserin, Du hast vielleicht nicht Geld genug zu einer Pilgerfahrt nach Weimar. Aber soviel Geld kannst Du erübrigen, daß Du Dir dies Buch kaufen kannst, das Dir für die Reise nach Weimar den denkbar vollkommensten Ersatz und obendrein ein Kulturdokument größten Ausmaßes liefert. (Bei Büchern darf man ja den Preis sagen: In Ganzleinen Mk. 13, in Halbleder Mk. 22.)

Sage nicht: Ich habe den Eckermann in dieser oder jener Ausgabe. Es ist, als sagte ein Blinder: Ich habe den Wald oder ich habe den Strom oder die blühende Wiese oder den Wolkenhimmel gesehen. Für Goethe war das Auge der gewaltigste Sinn. Hier erfährst Du an ihm selber, wie recht er hatte.

Du würdest Dir ganz sicher in den nächsten Wochen oder Monaten für 13 oder 22 Goldmark unnütze Bücher kaufen.

Kaufe sie nicht und kaufe Dir den neuen Eckermann. So hast Du mit Deinem Gelde zwiefach gewuchert.

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    Katalognummer BW-AK-013-3034