Grade fährt da der Leiterwagen um die Ecke. Er hat eine verspätete Fuhre Kartoffeln gebracht. Als ganze Ladung hat er jetzt eine Schütte Stroh. Die Halme sind unordentlich durcheinander gewirrt. Man weiß, sobald der Mann nachhaus kommt, wirft er dies Sinnbild der Nutzlosigkeit und Unordnung auf den Mist.
Was gibt es Ärmlicheres und Verachteteres, als eine Schütte Stroh! Man nimmt das Wort nicht anders in den Mund, als um damit etwas wegwerfend Verächtliches auszudrücken. Wenn man zum Beispiel von einem jungen Mädchen sagt, sie sei strohblond, so verbindet man damit den Begriff Einfältigkeit. Gänseliesel. Sonst sagt man weizenblond. Jeder weiß, was es heißt, Stroh im Kopf haben, Stroh dreschen usw. Man verachtet das Stroh, wie man den Hund verachtet, und vergißt, daß es so nützlich, so unentbehrlich ist, wie jener. Aber es ist eben so, daß man sich selbst in die Höhe zu schrauben glaubt, wenn man recht deutlich seine Verachtung zeigt. Grade wie jemand in den Ruf eines Feinschmeckers zu kommen denkt, wenn er über alles Essen die Nase rümpft, damit die Leute glauben, er sei es besser gewohnt.
Wir verachten das Stroh, weil daraus Mist gemacht wird, weil es uns überall grade noch gut genug ist als Streu unter die Füße, wo es dann zertreten und zermalmt wird und sich alles muß gefallen lassen. Aber wir denken nicht daran, daß es am nächsten hilfreich zur Hand ist, wenn wir unsre müden Glieder zur Ruhe strecken wollen. Für den hungrigen und schläfrigen Wanderburschen ist die Garbe Stroh das Sinnbild der ersehnten Ruhe. Und ganz sicher wird auf dem Strohsack besser, gesünder und traumloser geschlafen, als auf der teuersten Sprungfedermatratze.
Und erst das Strohdach! Wohnt es sich unter ihm nicht traulicher und wärmer, als unter dem besten Martelinger Schiefer? Und war es nicht eine Sünde wider den heiligen Geist der Gemütlichkeit und der Ästhetik, als unsre Regierung, den Feuerassekuranzen zulieb, das Strohdach gesetzlich verpönte? Was fügt sich harmonischer in die Landschaft, als ein bemoostes Strohdach, mit dem Regen und Wind und Sonne Mimikry spielen können, bis es von seiner Umgebung kaum mehr absticht? Fragt einmal den Guido Oppenheim, ob er alle die köstlichen öslinger Hüttchen gemalt hätte, wenn sie statt ihrer Strohdächer die prosaischen, eckigen Dächer aus dumpfgraublauem Schiefer gehabt hätten? Ein Strohdach, ja das ist ja eine Welt für sich, ein botanischer Garten, darauf wuchert es aus allen Samenkörnern, die mit dem Wind dahergeflogen sind, die seltensten Pflanzen, die sonst keine Heimstätte haben, finden im Stroh der alten Dächer den Mutterboden, der sie trägt und nährt.
Und denkt Ihr denn nicht an die hoffärtigen Stroh- hüte auf den Köpfen der Höchsten der Erde? Denkt Ihr nicht an die Strohhülsen, die den kostbarsten Weinen Schutz gewähren gegen Stoß und Prall? Und endlich, denkt Ihr nicht an des Strohes Glanzzeit, draußen auf der Flur, wenn die Halme langsam in der Frühlingssonne emporwachsen, wenn die Natur in ihnen das Wunder von Schlankheit und Stärke wirkt, das die Technik ihr in Stahl und Eisen nachbaut, wenn jeder Halm stolz wie ein junger Knappe seine Ähre dem Licht entgegenträgt, wenn die Hunderttausende von Halmen treu und fest zusammenstehen gegen Wind und Sturm, klug dem Druck sich beugend und lachend wieder aufgerichtet, wenn er sich ohnmächtig verblasen hat, wenn Mohn und Kornblumen klingklang rot und blau im Gelb des reifenden Korns tönen, wie Bimbam des Schellenbaums über der Masse des Orchesters - und wenn der Hans und die Grete im wogenden Kornfeld ihrer jungen Liebe Zufluchtsstatt suchen?