Original

20. November 1925

Als ich heute vormittag am Konstitutionsplatz vorbei ging, beschien die Sonne hauptsächlich die Goldene Frau und einen jungen Mann, der in Gehrock und Zylinder eilig fürbaß kam. Er war sicher bei irgendeiner Zeremonie fällig und strömte darauf los, wie wir früher an Kaisers Geburtstag die Herren Offiziere der Reserve in ihren etwas knapp gewordenen Uniformen auf den Kölnischen Hof losströmen sahen.

Ein Zylinder wirkt heute tatsächlich wie eine Reserveleutnantsuniform, die nur einmal im Jahr hervorgeholt und dem Tageslicht ausgesetzt wird. Die Dampfwalze des Krieges ist auch über ihn hinweggegangen. Früher, ach, wie schön hatte er es da, wie war er überall dabei, wenn nur ein bißchen Feierlichkeit zu markieren war. Der abgebaute Herr Major griff hoheitsvoll zum Zivilhelm, wenn er bei seinen Freunden herumreiste, um sie mit Porto und Importen zu importünieren, der neugebackene Arzt drängte sich der öffentlichen Meinung auf, indem er fortwährend im Zylinder und weißen Schlips in die Erscheinung trat, wir kannten sogar einen bescheidenen Bürobeamten, den niemand je anders als im Zylinder zu sehen bekam. Er war eine stadtbekannte Figur.

Der Zylinder ist immer noch das Sinnbild der Feierlichkeit, wie alles mit Würde getragene Unbequeme. Sein Stern ist freilich in dem Maße erblaßt, wie der große Krieg in der Menschheit den Sinn für Feierlichkeit überhaupt ertötet hat. Da es aber Leute gibt, die Ernst mit Feierlichkeit verwechseln, so wird auch der Zylinder wieder zu Ehren kommen und Feierlichkeit auf das bürgerliche. Leben ausstrahlen, grade wie der Frack, das Stärkehemd, der Stehkragen, das blinkende Ofenrohr, der Regenschirm, die Aktenmappe und andere Sinnbilder, während der Schlafrock, die Zipfelmütze, die Samtjacke, Pantoffeln usw. die Gemütlichkeit versinnbilden.

Da nun der Zylinder als ein Hauptsymbol der Feierlichkeit gilt, so ist es sonderbar, daß er niemals auf Denkmälern erscheint, wo doch die Dargestellten, da es für sehr lange zu sein pflegt, in möglichst feierlicher Aufmachung verewigt werden. Der Carnot auf dem pompösen Denkmal der Place de la République in Lyon trägt Hosen und Gehrock, aber der dazu passende, die ganze Eleganz ergänzen sollende Zylinder fehlt. Warum? Ja, warum scheuen alle Bildhauer davor zurück, ihren Statuen Hüte aufzusetzen, zumal den weiblichen? Wahrscheinlich, weil sich die Betroffenen später im Grabe herumdrehen müßten. Denken Sie sich eine Frau, die für ewige Zeiten auf einem Postament stünde mit einem Hut, der aus der Mode gekommen wäre! Ebenso wäre ein unmoderner Zylinder auf einem Denkmal undenkbar. Auch ein Gehrock und ein Hosenbein können unmodern sein, aber sie sind eben nicht zu entbehren, sonst hätte man den armen Herrn Carnot im Adamskostüm auf sein Denkmal stellen müssen, und das geht doch nur, wenn man mit Toten zu tun hat, die schon zu Heroen versteinert sind, wie Beethoven, Napoleon, Goethe usw. Von denen ist alles Sterbliche und Vergängliche, alles Zeitliche und menschlich Angeklebte abgefallen, die dürfen nackt dargestellt werden, zum Zeugnis dafür, daß der sogenaunte liebe Herrgott es am Ende doch noch besser konnte, als die besten London Tailors.

Vom Erhabenen bis zum Lächerlichen ist nur ein Schritt - das hat sich schon oft beim Zylinder bewahrheitet. Er braucht nur vor einem Windstoß seinem Träger vom Kopf und in den Straßenkot zu fliegen und dort possierlich eine Strecke weiter zu hüpfen, so wirkt er ungefähr wie jene würdelosen Vertreter des alten Regimes, die der Sturm der Republik als Emigranten über die Grenzen Frankreichs herausgeblasen hatte.

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    Katalognummer BW-AK-013-3037