Gesetzt, jemand weiß, daß irgendwo in der Stadt am hellen Mittag eine Schurkerei geschieht: Er geht hin und schmeißt an dem Haus mit Geschrei die Fenster ein, um die Polizei herbeizulocken.
Passen Sie bitte auf, gleich wird hier ein Fenster eingeschmissen, hinter dem sich eine Schurkerei großen Stils vollzieht.
Ich nenne ein Wort. Entweder schütteln Sie den Kopf, weil Sie nicht wissen, was es heißt. Oder Sie sagen: Aha, davon habe ich schon gehört. Oder es gibt Ihnen einen Stoß, daß Sie sich nach dem Herzen greifen.
Das Wort hat einen harmlos leichtfertigen Klang, der Unwissende denkt sich wenig dabei, vielleicht einen Kakadu oder eine Tänzerin oder einen Spielkameraden aus der Kleinkinderschule.
Und es bedeutet eine Welt voll Unglück, Blut und Tränen.
Hier steht es!
Coco!
Glücklich, die darüber lächeln. Für allzu viele schon hat sein Klang die Schrecken der Posaunen des jüngsten Gerichts.
Valutasturz, verlorene Gliedmaßen, Zank und Betrug, Schiebertum und alle unseligen Folgen des Kriegs, die sich unter der Sonne ausbreiten, sind harmlos gegen dies hartnäckigste und furchtbarste der Übel, die aus dem großen Morden herauswuchsen.
Im Krieg war das Cocaïn ein Segen für die Verwundeten und für ihre Pfleger. Heute ist es zum Fluch für die Menschheit geworden. Es fließt in geheimen Kanälen, von Schurken ausgegossen, durch die Gesellschaft, ein betäubendes, berauschendes Gift, Körper und Seelen zerrüttend.
Erst wurde als pikante Neuigkeit erzählt, amerikanische Soldaten hätten, als sie die Heimat trocken fanden, den „Stuff“, das Cocaïn als Ersatz für den fehlenden Alkohol benutzt. Tatsächlich wird in den Vereinigten Staaten schon seit Kriegsende mit drakonischer Strenge gegen die Verbreiter des Giftes vorgegangen.
Dann bemächtigte sich die Literatur der Großstädte des sensationellen Stoffes und eine Welle schlug mit dem Schauspiel „Coco“ voriges Jahr bis nach Luxemburg herüber, mit dem Erfolg, daß ein junger Mann nach Schluß der Vorstellung meinte, das müsse man wirklich einmal probieren!
Heute ist es ein offenes Geheimnis, daß im Bahnhofviertel von Luxemburg Cocaïn unter der Hand in erschrecklichen Mengen gehandelt wird. Man nennt den Preis pro Gramm, man zeigt sich in den Nachtlokalen die Coco-Schnupfer und Coco-Schnupferinnen, wie man sich Verurteilte bei ihrer Henkersmahlzeit zeigen würde: Aufgeregtes Wesen, glasige, unheimlich glänzende Augen, berauscht, aber mit einem Rausch, der von der Gelöstheit und Gemütlichkeit des Alkoholrausches nichts an sich hat. Sollte einer von ihnen dieses lesen, so sei ihm wahrheitgemäß bescheinigt, daß er in diesem Zustand keineswegs so klug und interessant aussieht, wie er sich vorkommt. Das Unglück ist ja eben, daß Coco das subjektive Empfinden zeitweise beglückend steigert, während die Umwelt objektiv dadurch leider nicht beeinflußt wird. Wenn einer ein Stiesel ist, bleibt er trotz Coco für die andern ein Stiesel, nur daß er sich außerdem zugrunde richtet und andre mit ins Unglück zieht.
Unsre Geheimpolizei hat in jüngster Zeit durch ihre Findigkeit in der Branntweingeschichte das Land vor allerhand Millionenverlusten behütet. Hier steht mehr auf dem Spiel, als Geld. Menschenleben, das Glück von Familien, die Gesundheit von Geschlechtern sind bedroht durch Genußsucht, einfältige Neugier und kindischen Abenteurertrieb, am meisten aber durch schmutzige, gewissenlose Gewinnsucht. Wüßten alle, die dem Coco zum Opfer fallen, wie sie sich und andre nicht nur unglücklich machen, sondern wie ihr Unglück auch noch in profunder Lächerlichkeit untergeht, sie jagten alle Coco-Händler lieber heute als morgen zum Teufel.
Aber sie wissen es leider nicht, darum muß ihnen mit Gewalt beigesprungen werden.