Original

28. November 1925

Auf einem Spaziergang nach Pfaffental erlebte ich, daß mir auf dem Weg unter dem Justizgebäude ein zerknittertes Blatt vor die Füße flog. Ich hob es auf. Es war ein vergilbter Brief, den ein Kommis der Staatsanwaltschaft aus alten Akten wahrscheinlich dieser Tage in den Papierkorb klassiert hatte, und der später aus dem Müllkasten den Weg ins All und vor meine Füße gefunden hatte.

Ich las den Brief und merkte, daß ich alt werde. Er war aus einer Zeit, in der man sich in der Stadt gewaltig darüber aufregte, daß von oben die Parole ausgegangen war, nur studierte Juristen seien für höhere Posten im Staat vorzumerken. Die ganze nichtjuristische Jugend zwischen 20 und 40 Jahren empfand den Ukas als eine Beleidigung und sich selbst als Opfer eines direkt preußischen Kastengeistes. „Dem Verdienst die Krone!“ hieß die Gegenlosung. Das liegt heute weit, weit hinter uns, der Krieg hat der Persönlichkeit wieder den Vorrang vor dem Diplom verschafft. Aber der vergilbte Brief erinnerte mich an die Bewegung in der wir alle, die von Pandekten nur vom Hörensagen wußten, empört mitschwangen.

Der Brief lautete:

Her Procureur! Wann de Bre’f elei an er Hänn könnt, dann hun ech ausgelidden.

Ech konnt eemol net meh liewen. Ech wor net Docteur en droit. An du hun ech mech missen erhänken. Et wär jo vleicht nach eng Zeit lang eso’ viru gang, mä ech hu le’wer gleich en Enn gemat. Et wor net meh auszehalen. Wann ech bei der Musek um Place d’Armes spaze’ere si gangen, dann hun de’ aner mech bekuckt, ewe’ en Hond an engem Keelespill. Dir hut gut laachen, Her Procureur, Dir wort all ert Liewen Docteur en droit, Dir hut keng Ahnong, we et engem aß a we’ et engem geht, wann een dat net aß. Gescht Metteg, we’ ech laascht d’Rege’erong gange sin, du huet dem Her Eyschen sein Hond mech bekuckt, ewe’e Kilometersteen. Sot emol selwer, wat wär aus Jech gin, wann Der kee Recht stode’ert hätt! He’chstens nach en Ingenieur oder en Dokter oder dees Geräbbel, mä ob kee Fall eppes Zergutztes. Ech gin et elo ob, Her Procureur, ech kommen ne’erges meh un, beim Contingent, an der Fondation Pescatore, am Spidol, am Lackklub, iwerall muß een elo sein Diplom als Affekot hun. Zum Leschten hun ech mech fir Keelejong am Casino gemeldt, mä we’ ech du sot, ech hätt nemmen d’Première am Kolle’sch gemat, du hun se mer laud an hart an ’t Gesiecht gelaacht, an si hätten zwanzeg Demante vu Rechtsgele’erten. Du hat ech genog.

Eddi, Her Procureur. Sot zur Rege’erong, se soll fir meng Kanner suergen, meng Fra werd scho selwer fir sech suergen.

Dat Seel, un dat ech mech erhänken, hun ech vu Wönschen Hary gepufft. Loßt et a Stecker schneiden, et sin obgekle’ert Leid genog an der Staadt, de’ Jech gieren zeng Frang gin fir e Steck vun enger corde de pendu. Domat bezuelt Der den Hary a mei Begriefnes. Eddi, an exkuse’ert mech bei der Police fir de’ Obroh, de’ ech er gemat hun, ech dun et och nie meh! Peter Porrett, Netdocteur en droit.

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    Katalognummer BW-AK-013-3044