Original

16. Dezember 1925

Der heilige Friede, den im Krieg und Nachkrieg die politischen Parteien in Belgien geschlossen hatten, ging nach und nach in die Brüche. Der gemeinsame Feind fehlte, der sie zusammengeschweißt hatte. Sie hatten kürzlich eine Gelegenheit, sich auf immer zu vertragen, aber sie haben sie verpaßt. Die Geschichte ist in mehrerer Beziehung wert, daß sie hier erzählt wird.

Ich traf in Brüssel dieser Tage meinen Freund Franz Fischer, den bekannten belgischen Abgeordneten, den wir zu den besten Freunden unseres Landes und namentlich der Grevenmacherer Weine rechnen dürfen.

Das Wiedersehen sollte begossen werden.

„Komm mit mir,“ sagte er. „wir gehen zum Restaurateur der Kammer, ich weiß, er schenkt einen guten Tropfen, und so du im weiteren Lust verspürst auf einen erstklassigen Happenpappen, so ist er wiederum derjenige, der es tut.“

Er führte mich in ein Restaurant am Fischmarkt, neben der berühmten Françoise. Es heißt „La Rôtisserie“. Der Besitzer kreiste zwischen den Tischen im klassischen Dreß des Küchenchefs, die weiße Mitra auf dem Haupt, die Serviette mit vorn abstehendem Zipfel um den Hals geschlungen.

Es entspann sich eine Beratung über die Art des Willkommtrunkes. Da sagte unser Vatel auf echt Luxemburgisch, wir sollten doch seinen Wormeldinger versuchen. Ich frug ihn erstaunt, wo er denn her sei, ob vielleicht von Arlon oder Umgegend, denn ich konnte nicht annehmen, daß ein Luxemburger die Ehre und den Vorteil genösse, der Restaurateur der belgischen Volksvertreter zu sein.

„Ech sin dem Genglesch Dömmy vun Hollerech sei Brudder, de Genglesch Neckel,“ sagte er mit bescheidenem Stolz in der Stimme.

Sein Wein war gut, seine Küche nicht minder, und zum Nachtisch erzählte er mir, wie es gekommen war, daß er vor einigen Monaten, als die Kammerquästur eine eigene Restauration für die Abgeordneten einrichtete, sämtliche belgischen Mitbewerber aus dem Felde geschlagen hatte.

Doch dies nebenbei. Von ihm erfuhr ich dann die Details der Einrichtung, und da mußte es frappieren, daß für jede der drei großen Parteien, Liberale, Sozialisten und Katholiken, ein getrennter Speisesaal vorgesehen ist.

Warum? Warum bis in die Freuden der Tafel hinein das Trennende der politischen Überzeugungen betonen? Da sitzen sie nun sorgfältig gesondert, wie die drei Farben ihrer Fahne, essen ihre Muscheln, Austern, Fische, Beefsteals, Hühnchen, Kuchen und Obst und Käse, trinken ihre Gueuze und Koekelberg und Funck und Mousel, ihre Burgunder und Bordeaux und luxemburger Weine auf streng katholisch, sozialistisch und liberal, machen aus Küche und Keller eine parteipolitische Angelegenheit!

Wir werden es ihnen hoffentlich nicht nachtun. Es kann nicht ausbleiben, daß auch unsre Ehrenwerten sich in den Räumen des Palastes der Nation ein Lokal einrichten, in dem sie sich zuführen, was Leib und Seele zusammenhält. Eine Kammer, die mit der Möglichkeit von Nachtsitzungen rechnet, muß unter ihrem Dach die Möglichkeit eines Nachtessens bieten, und dann kommt der Nest von selber. Aber dann muß ein gemeinsamer Speisesaal geschaffen werden, der als die Wiege eines dauerhaften Friedens gedacht sein soll. Wenn da die Wölfe mit den Lämmern zusammen weiden, wird die Verträglichkeit bald alle wie ein weiches Band umschlingen, die Atmosphäre des Friedens wird sich bis in den Sitzungssaal hinein verbreiten und die bösen Schimpsereien der letzten Jahre werden der Geschichte angehören.

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    Katalognummer BW-AK-013-3059