Original

18. Dezember 1925

Zufällig geriet mir dieser Tage der Paß einer nicht mehr sehr jungen, doch noch immerhin jugendlich aussehenden Dame in die Hände. Nach der Photographie darauf hätte ich sie nicht erkannt, ich las den Namen erst ungläubig, bis ich nach längerer Betrachtung des Bildes doch hinter dessen verzerrten Zügen das Gesicht der Paßinhaberin erkannte.

Im weiteren fiel mir ein, daß diese Diskrevanz zwischen Bild und Wirklichkeit bei Paßphorographien nicht selten, ja gradezu die Regel ist, dergestalt daß man schon sagen könnte, jemand sei so häßlich wie seine Paßphotographie.

Es gehört wirklich Mut dazu, sich zu einem solchen Momentbild zu bekennen. Es ist, als werfe die Kriegsnot noch heute ihre Schatten über diese Gesichter grade wie zur Zeit, wo uns die Herrlichkeiten des Paßwesens nach langer Pause zuerst wieder beschert wurden. Sie wissen ganz bestimmt von menschlichen Wesen, sagen wir einmal Damen, die im Leben gütig, reizend, hübsch, sogar schön, im Ganzen begehrenswert sind, einen liebenswürdigen Charakter haben, der sich in ihren Zügen auspräggt. Lassen sie sich paßphotographieren, so spielt ihnen der Gottselbetuns einen Schabernack, aus ihren Gesichtern grinst es wie ein häßliches Dementi auf alles Schöne und Gute, das man ihnen zugetraut hatte. Manche, die in ihrem Kreis durch rührende Wobltätigkeit bekannt ist, sieht womöglich aus wie eine Megäre, eine Verbrecherin, das Lächeln wird zur Grimasse, der Ernst zum Griesgram, der Geist zur Heimtücke, die Güte zur Dummheit, die Gemütlichkeit zur Robeit, das Fältchen zur Runzel und die Warze zum Zolverknapp. Man hat etwa den Eindruck, wir von einer neugewalzten Straße, über die man nachts im Auto fährt. In der erbarmungslosen Horizontalbeleuchtung der Flächs wird jede kleinste Unebenheit zu einem Höcker, der einen meteriangen Schatten wirst, und dem Auge erscheint so die tatsächlich wundervoll ebene Straße wie eine Leiter, ein Steinbruch.

Auch die Männerschönheit wird von den Paßphotographien übel zugerichtet. Man sagt ja, ein Mann brauche nicht schön zu sein - im „Baptèms“ tröstet der alte Bloch seinen Lucien mit der Versicherung, er sei der Allerschönste, denn die Schönheit des Mannes sei seine Intelligenz. Aber das ist es ja grade: Wie mancher, der sich für ein Genie hält - es soll vorkommen - sieht auf seiner Paßphotographie aus, wie ein Idiot. Ein andrer posiert als Kraftmeier, sein Paßbild zeigt einen Verreckling. Das Unangenehme dabei ist, daß das Paßbild bis zu einem gewissen Grad die Wahrbeit lagt, oft ein Stück Wahrheit, das sonst nicht in die Erscheinung tritt. Wie das Grammophon die Schulung einer Stimme verrät, so betont die Photographie in einem Gesicht Züge, die krankhaften Wesens sind. Es kann vorkommen, daß jemand, der sich für einen Picus von Mirandola hält, von seiner Paßphotographie brutal belehrt wird, daß er einen Ansatz zum Wasserkopf hat.

Diese Rücksichtslosigkeit der Paßphotographien ist nicht natürlich. Ich habe die Photographen im Verdacht, daß sie uns zu Paßzwecken extra häßliche Larven anknipsen, nur damit wir die Vorteile einer künstlerischen Retouche schätzen lernen und ihnen recht bald ein wirklich ähnliches Bild in Auftrag geben, ein Bild, das von unserm innern Wert einen richtigen Begriff gibt und aus dessen Zügen alles Störende sorgfältig ausradiert ist.

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    Katalognummer BW-AK-013-3061