Original

20. Dezember 1925

Man beginnt, von der Ourtalsperre als einer unbezweifelbaren Sicherheit zu sprechen.

Kommt sie wirklich zustande, so wird man dennoch nie so viel davon gesprochen haben, wie von der Landeselektrifizierung, die nie zustandekommen wird.

Man sagt das so geschäftsmäßig hin: die Ourtalsperre - und wer nie im Ourtal gewandert ist oder seine Fischgerte geschwungen hat, der denkt sich nichts dabei, er sieht im Geist nur die Millionen, die der Bau der Staumauer kosten wird, und die Pferdestärken, die dabei herausgeschlagen werden, höchstens die Wasserfläche und die Zahl der Kublkmeter, die das Staubecken fassen wird.

Wem aber das Ourtal dort herum zu einem Teil seines Erinnerungsbesitzes geworden ist, der empfindet, daß das Antlitz der Erde wieder einmal gewaltsam verändert wird. Und mit einemmal wird ihm klar, daß das alles gar nicht so einfach ist, und daß außer den wirtschaftlichen Rücksichten auch ein Gemütswert in Rechnung gestellt sein will.

Die Dörfer? Was wird aus den Dörfern des Ourtals oberhalb Vianden, aus Unter- und Übereisenbach, aus Gemünd, aus Stolzemburg?

Sie werden verschwinden. Und die Menschen, die darin zuhause sind, werden fortan sein, wie auf die Erde geschneit, sie werden nie wieder heimgehen können.

Eines Tages, wenn die Staumauer fertig ist, wird das Becken sich zu füllen beginnen, langsam, unaufhaltsam wird der Wasserspiegel steigen, wird sich ausbreiten in den Gärten vor den Häusern, in die Hausgänge, Stuben, Ställe und Scheuern hinein, wird an die Stubendecke und durch sie hinauf in die Schlafzimmer steigen, wo Geschlechter geboren wurden und gestorben sind, an den getünchten Wänden hinauf, wo noch die unverblaßten Stellen sichtbar sind, an denen die Heiligenbilder und das Kruzifix überm Bett hingen, bis zum Speicher, am Dachfirst hinauf, übers Dach, langsam und unaufhaltsam höher ... Und durch das glasklare Wasser hinab wird man aus dem Kahn die versunkenen Dörfer sehen, um das Kirchturmdach werden Forellen und Hechte schwimmen, der Friedhof wird mit seinen hellen Kreuzen heraufleuchten, an Allerseelen werden die Verwandten kommen und in Kähnen über die Stelle fahren und der Pfarrer wird in die lastende Tiefe hinunter vom Nachen aus die Gräber segnen. Und vielleicht wird eines Tages ein reicher Eisenbacher oder Gemünder oder Stolzemburger aus Amerika kommen und sich ärgern, daß sie sein Dorf in die Tiefe gesenkt haben, er wird sich einen Taucheranzug verschreiben, um noch einmal in den Straßen seines Heimatdorfes spazieren zu gehen.

Als Dicks damals auf dem Kirchhof von Vianden, am Ufer der Our, zu Grab getragen wurde, da sagte Papa Spos von der Zeit, wo unsere Urväter dort herum den wilden Eber mit Spießen jagten.

Daneben ersteht jetzt ein anderes, freundlicheres Bild: Wie sich die Viandener Schloßruine in dem Staubecken bei Biwels spiegeln wird, wie die Engländer darauf Regatten und große Fischzüge veranstalten, wie Vianden einem Dornröschen gleich aus langem Schlaf erwachen und sich zum Mittelpunkt des Tourismus in weiter Runde auswachsen wird.

Et ainsi soit-il!

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KatalognummerBW-AK-013-3063