„Ist es nicht gradezu gemein,“ ärgerte sich Grimmberger, „wie wir uns im allgemeinen zur Schöpfung stellen?“
„Wieso?“
„Immer mit der Frage auf den Lippen, nicht etwa: Quid hoc ad aeternitatem? sondern .... na, ich will es Ihnen lieber an einem kleinen Erlebnis, klar machen. Ich war eines Tages auf einer Italienreise nach Reapel gekommen und sah mir grade das wundervolle Aquarium an. Ich konnte den Blick nicht von einer Muräne lösen, die sich hinter der Glaswand in herrlicher Geschmeidigkeit wand und schlängelte. Der olivenbraune, geschmackvoll gemusterte Körper - ich muß schon so sagen, denn die Zeichnung war im Geschmack des neuesten Kunstgewerbes - der glatte Körper schimmerte matt und diskret in dem gedämpften Oberlicht. des Raumes, das Seewasser des Aquariums war durchquirlt und durchstrudelt von weißen Luftbläschen, die die Leitung mitbrachte - es war ein köstliches Schauspiel leise und verhalten durcheinander wirkender elastischer Kräfte.
Da legte sich mir eine Hand auf die Schulter und die bekannte Stimme einer luxemburger Dame, die zufällig auch in Neapel war, fragte in die Stille hinein:
„Ist der Fisch da gut zu essen?“
„O ja, sagte ich, die Römer züchteten ihn auf Massenkonsum und fütterten ihn mit dem Fleisch ihrer Sklaven.“
Darauf versicherte sie schaudernd, sie werde niemals Muränenfleisch essen. Sie wollte also nicht einmal im zweiten Grade und in der historischen Erinnerung Anthropophagin sein.
Und doch sagt im Schoß unsrer verfeinertsten Kultur der junge Mann anstandslos zu seiner Herzallerliebsten, daß er sie fressen könnte.
Im Tierreich herrscht das größte, allerdings berechtigte Mißtrauen gegen uns Menschen. Der Löwe wehrt sich mit seinen Pranken, aber je kleiner die Tiere werden, um so schwächer werden ihre Verteidigungswaffen und sie müssen sich auf Schlauheit verlegen. Sie suchen sich mit dem Ekel zu schützen, den sie uns einflößen. So glaubte der Krebs lange Zeit, weil wir uns vor der Spinne ekeln, sei auch er vor unserer Gefräßigkeit sicher. Aber man weiß nicht, wie es geschah, eines Tages kam die Menschheit dahinter, daß in der schwarzgrauen Krebsschale ein schmackhaftes Fleisch stak, und schon war es um den armen Kerl geschehen, um ihn und seine ganze Sippschaft, als da sind Krabben. Hummer, Langusten usw. Den Schnecken, Austern, Muscheln usw. ging es nicht besser. Zwar gibt es noch heute ganze Völkerstämme, die keine Schnecken essen, weil sie nicht wissen, wie gut sie sind, aber die gelten dafür auch als kulturell rückständig. Die Engländer nennen die Franzosen verächtlich Frog-eater, Froschfresser, aber das tut der Güte eines gebackenen Froschschenkels nicht den mindesten Eintrag.
Ich sage Ihnen, die Menschheit ist der Schöpfung gegenüber wie ein Säugling, der alles in den Mund steckt, keinen Ekel kennt, und alles hinunterschluckt, was ihm einigermaßen schmeckt.“
Ich meinte darauf, das sei ganz natürlicher, eingeborener Selbsterhaltungstrieb usw. Friß, damit du nicht gefressen wirst.
Er machte sein grimmigstes Gesicht und fragte:
„Warum fände man es verrückt, verbrecherisch, lächerlich, wenn eine Jagdgesellschaft ein Kesseltreiben auf Hasen veranstaltete und die Hasen, statt sie zu essen, auf dem Feld verscharrte oder verwesen ließe? Und warum findet man es ganz in Ordnung und der innersten Veranlagung des Menschen entsprechend, daß er von Zeit zu Zeit ein großes Kesseltreiben auf seinesgleichen veranstaltet, ohne daß er das Bedürfnis hat, seine Beute aufzufressen?“
„Sie halten doch die Kulturmenschen von heute nicht für Kannibalen, Herr Grimmberger?“
„Doch, für verweichlichte Kannibalen, weil sie die letzte Konsequenz nicht mehr ziehen wollen. Dann sollen sie auch nicht sagen, daß der Krieg ihrer Natur entspricht!“