Eine Rotte Sauen war im nahen Forst bestätigt. Im Vormittag fuhren in vielen Automobilen die Jäger und Jägerinnen an. Die Wagen reihten sich am Straßenrand auf. Von meinem Standpunkt rechts hinauf, hinter ein paar Ackerbreiten, lag der braune Winterwald, der Spurschnee der letzten vierundzwanzig Stunden war am Abgehen und tausend Rinnsälchen plapperten über die Straße und durch alle Wiesengräbchen.
Die Förster, mit den ungeduldigen Saufindern am Riemen, zeigten den Weg, die Gruppe der Jäger teilte sich, zwei nach links, zwei nach rechts, die übrigen mit den Förstern gradeaus in das Dickicht. Die Flintenläufe blitzen noch einige Minuten zwischen den kahlen Stämmen und Ästen, dann ist jede Bewegung versickert.
Das Glas am Auge suche ich den Waldrand hinauf und hinab und warte auf das Brechen des ersten Schusses.
Hell in der sonnigen Grisaille des Weihnachtsmittags liegt der weit geschwungene Wiesengrund, wie eine leere Riesenbähne. Rechts dunkelt der Waldrücken, dort bereitet sich das Drama vor. Links auf der Höhe zieht sich die andre Waldkulisse hin. Die Wiesenbühne leuchtet matt mit ihrem angegilbten Grasteppich im schwarzbraunen Rahmen der Wälder.
Ein Schuß! Hell bricht er in den wintersonnigen Mittag. Noch einer.
Und schon ist drüben der Acker zwischen Wald und Wiese mit einem zitternden Netz von Aufregung überzogen. Männer laufen, das Mündungsfeuer von Schüssen züngelt, Hunde prellen, und dazwischen hoppelt es von schwarzen Biestern, die der plötzlichen Gefahr zu entrinnen suchen. Pardautz den hohen Feldrain herunter, quer über die Straße ...
Jetzt, die Bühne, das gelbgrüne Wiesentheater - da spielt jetzt das Stück. Und es sieht so harmlos drollig aus, daß man nicht mehr an Blut und Tod und Drama denkt. Vorn hopst ein Hauptschwein, ich sehe im Glas wie auf zwanzig Tritt sein scharfes Gewaff. Wie ein grober Keil stößt sich die schwarze Gestalt durch den Raum, dem gröbsten Klotz gewachsen. Dafür heißt er Keiler.
Hinter ihm, lautlos, in scharfem Hetzen, zu einer schlanken Linie ausgezogen, ein schwarzgrauer Sauhund, dicht am Wild. Dann eine grobe Bache, die in fidelen, kurzen Sätzen über die Wiesenbühne galoppiert, mit vergnügt geringeltem Pürzel. Noch eine Bache, und zum Schluß ein Hauptkeiler mit weit offenem Gebrech und sentrecht gesträubten Federn. Und das helle Geinall der fernen Büchsen macht dazu die Bühnenmusik.
Komisch! Wer sich etwas recht Gewalttätiges, Gefährliches, unheimlich Brutales vorstellen will, denkt an einen wilden Keiler, einen borstigen, keuchenden Schweinhund mit heraushängender Zunge, eine mit Dumdumkugeln geladene Büchse.
Hier ist alles da. Und alles zusammen ergibt ein so niedliches, harm- und gefahrloses, salonfähiges Bild, daß wirklich nur das Bildhafte davon sich aufdrängt, die Lust an dem plötzlich Bewegten mit einem ganz schwach prickelnden Gefühl, daß dort irgendwie eine Todesgesahr in der Luft liegt, daß eine Kugel eine Schwarte oder eine Hunde- oder Treiber- oder Jägerhaut durchlöchern könnte, daß ein Keiler sich einem hetzenden Hund stellen oder einen der Schützen, gar eine Schützin annehmen könnte.
Aber der Gedanke kommt einem nicht, es ist alles so weit, so klein, so unaufdringlich.
Und man wird auf einmal seiner egozentrischen Selbstsucht inne, die sich aus fremder Gesahr nichts macht und das Heldenwort geprägt hat: Weit davon ist gut vorm Schuß.