Original

31. Dezember 1925

Schon wieder scheint es, als ob aus dem städtischen Straßenbild ein charakteristisches altes Haus verschwinden sollte. Wenigstens sieht man in der Pastorstraße Maurer und Handlanger ein- und ausgehen. Und wieder sei an das städtische Bauamt die Frage gerichtet, ob es immer noch nicht daran gedacht hat, bei jeder Veränderung im Bild einer Straßenflucht eine Aufnahme von dem verschwindenden Haus anfertigen zu lassen und so ein Archiv zu bilden, aus dem sich das jeweilige Aussehen unserer Vaterstadt nach Jahrhunderten noch feststellen ließe. Was gäben wir drum, wenn eine solche Chronik in Bildern von den frühesten Zeiten unserer Geschichte her bestände!

Also das Haus Bück! Man war ein Abc-Schütz, hoch wie ein Gendarmenstiebel da kaufte einem der Vater dort die erste große Schiefertafel mit poliertem Rahmen und roten Zeilen und Vierecken. Und später das Buchsbaumtintenfaß zum Zuschrauben. Und dann, und dann usw., in wessen Leben hat dieser Laden nicht eine Rolle von Kindheit auf gespielt? Dann kamen die Jahre, wo man mit der Herstellung des Kammerberichts zu tun hatte, wo es noch keine Setzmaschinen gab und die Setzer rhythmisch nickend bis über Mitternacht, oft bis in den Morgen hinein, an ihren Kasten standen, die Gaslampen leise rauschten, der Limburger Käse diskrete Düfte verbreitete und Papa Doos eintönig die Korrekturbogen „kollationierte“.

Wußtet Ihr, daß in diesem Haus seit zirka dreihundert Jahren ununterbrochen das Druckereigewerbe ausgeübt wurde? Die alten Mauern und Wände, die sich schon über vieles Neue zu wundern hatten, werden sich am meisten wundern, wenn sie auf einmal nicht mehr vom Stoßen und Rollen der Druckerpressen erzittern werden.

Im Jahr 1845 hatte der damals 26jährige Victor Bück von seinem Prinzipal J. P. Kuborn die diesem gehörende Buchhandlung übernommen und damit den Grundstein zu einer der ersten Firmen der Stadt gelegt. 1852 übergab ihm der Besitzer der Druckerei Lamort auch dies Geschäft und damit wurde das Haus Victor Bück als Druckerei und Buchhandlung in dem Gebäude heimisch, in dem es ihm jetzt zu eng und unbequem geworden ist.

Den Papa Victor Bück muß man gekannt haben. Ein Volltyp der schönen Biedermeierzeit. Und jeder Zoll der tadellose Kaufmann. Mit dreizehn Jahren und neun Monaten war er ins Geschäft gekommen, als Sechzehnjähriger bereiste er, meist zu Pferd, das Land und die weitere Umgegend und warb seiner Firma eine ausgedehnte Kundschaft, die ihm später gerne treu blieb, nachdem er das Geschäft auf eigene Rechnung übernommen hatte. Man trifft selten eine Erscheinung von so reiner Charakteristik, wie es Papa Victor Bück war. Er gereichte seiner Vaterstadt zur Ehre und es wäre schade, wenn das sichtbare Denkmal, das er sich in seinem Haus in der Pastorstraße errichtet hat, nun verschwände, ohne daß davon ein Bild für die Nachwelt aufbewahrt würde.

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    Katalognummer BW-AK-013-3069