Unglaubliches geschah am Sonntag, 3. Januar 1926, des Vormittags zwischen 9 und 10 Uhr.
Da fanden die Luxemburger in ihren Briefkasten nicht nur das Morgenblatt der „Luxemburger Zeitung“, sondern auch Briefe, wirkliche Briefe mit Briefmarken und Poststempel. Zum ersten Mal seit zirka zehn Jahren Sonntags morgens Briefe!
Es war ein Fest.
Man schwelgte im Bewußtsein, auch Sonntags morgens mit der Welt in Verbindung zu stehen.
Bisher waren unsere Sonntage wie einsame Inseln im Weltmeer. Die Post sagte: Ich trage Euch Eure Briefe ins Haus, ich allein, niemand anders darf den Briefträger spielen. Aber Sonntags bringe ich Euch keine Briefe. Über Sonntag stapele ich die Korrespondenz auf, die Euch gehört, die ich Euch schleunigst auszuliefern mich verpflichtet habe. Vierundzwanzig Stunden lang wird sie Euch trotzdem von mir vorenthalten, Ihr habt Eure Neugier zu bändigen bis Montags früh oder gar noch etwas länger, wenn der Briefträger von der losbrechenden Stauung überrannt wird. Ich tue das, um vielleicht ein paar Groschen zu sparen. Sicher ist es nicht, aber die öffentliche Moral kann nur dadurch gefördert werden, daß ich mit einstimme in den Chorgesang vom Sparen.
Also die Post. Die Bürger knurrten, aber ließen es sich gefallen. Weil es sie alle miteinander traf. Wäre nur eine bestimmte Kategorie betroffen worden, zum Beispiel die Hebammen, oder die Strohdecker usw., so hätte der Hebammen- oder Strohdecker-Landesverband sofort in corpore gegen die Maßregel Front gemacht, die Sache wäre im Handumdrehen vor die Kammer gekommen, die gesamte Bürgerschaft hätte mit den Leidtragenden gemeinsame Sache und im Notfall eine Revolution gemacht.
Nun scheint es auch ohne Revolution gegangen zu sein. Es wird Sonntags wieder Post ausgetragen. Einmal im Vormittag, so darf immerhin nach diesem Präzedenzfall angenommen werden.
Und da der Herr Postdirektor grade dabei ist, dem Fortschritt zu huldigen, so fällt vielleicht die folgende Anregung auch nicht auf steinigten Boden.
Es kommt vor, daß in der hauptstädtischen Post der Briefmarkenschalter von Leuten belagert wird, die keine Briefe fortschicken, sondern Markenhändlergeschäfte machen wollen. Andere Male treffen am Schalter auch solche Kunden dutzendweise zusammen, die die Post wirklich als Verkehrsinstitut in Anspruch nehmen wollen. Die Letzten müssen warten, zehn Minuten, zwanzig Minuten, dreißig Minuten. Im Getriebe des Geschäftstages ist Warten langweilig und verlustreich.
Ich weiß, die Post kann nicht für jeden, der eine 10 Centimes-Marke braucht, einen eigenen Schalter aufmachen. Aber es gibt andere Schalter, an denen das Warten verpönt ist, und die haben sich zu helfen gewußt. Ich meine die Eisenbahnschalter: Die lassen ihre Fahrkarten im Reisebüro der Bank Werling vorverkaufen. Warum sollte dasselbe Büro nicht auch Briefmarken ausgeben?
Einstweilen wäre das ein Behelf. Solange dies Schalter nicht ebenfalls überlaufen ist. Und das kann nicht ausbleiben. Sobald einmal die Benützung des Reisebüros hier, wie überall, den Leuten in Fleisch und Blut übergegangen ist, wird man auch dort Queue bilden müssen.
Aber ich habe zum Beispiel in Spanien gesehen, daß dort in allen Tabakläden Briefmarken aufliegen. Es genügt, daß die Idee ausgesprochen wird, damit jeder rührige Zigarrenhändler sich einen Vorrat Briefmarken hinlegt. Vielleicht geht einer siebenmal in den Laden, nur um eine Marke zu erstehen, das achte Mal kauft er auch Zigarren. Kundenerziehung.
Da haben Sie, Herr Direktor, gleich zwei Mittel, Ihren Schalter zu entlasten, ohne daß es Sie einen Centime kostet.