Original

7. Januar 1926

Wenn es nicht so unbequem wäre und nicht so viel Raum beanspruchte, möchte ich wohl alte Haustüren sammeln. Wie schade, daß man sie nicht in Schränken aufbewahren oder gar in ein Album kleben kann!

Zu Adams und Evas Zeiten freilich wäre das Haustürensammeln weniger umständlich gewesen. Es ist nicht einmal erwiesen, daß das Paradies mit einer wirklichen. Türe abgeschlossen war, trotzdem wir gelehrt wurden, daß ein Engel mit flammendem Schwert davor Wache gehalten hat. (Über das Flammenschwert, mit dem doch der Engel weder hauen noch stechen konnte, habe ich mir lange den Kopf zerbrochen.)

Auch heute noch gibt es ganze Völkerstämme, bei denen das Wort Haustüre nicht den Begriff eines hölzernen Rechtecks, sondern nur eines Loches in der Mauer auslöst. Man braucht im Sommer nicht bis Avignon zu gehen, um festzustellen, daß an vielen Häusern die Haustür nur aus einem Vorhang besteht. Manchmal ist der Vorhang aus Perlenschnüren gemacht und dahinter werden leckere Flüssigkeiten verzapft.

Wenn trotzdem der Gebrauch der Haustür sich verallgemeinert hat, so ist es nicht nur der Kälte, sondern der Diebe wegen. Dies letztere ist indes nach den Erfahrungen aller Zeiten schwer verständlich. Eine geschlossene Tür nämlich lockt den Dieb viel eher an, als sie ihn abschreckt und aufhält. Durch offene Türen geschieht naturgemäß nie ein Einbruch, während eine geschlossene Tür immer nur für ehrliche Leute, nie aber für Spitzbuben geschlossen ist.

Aus einem Nichts, einem Loch in der Mauer ist die Haustür im Lauf der Zeiten ein Wesentliches geworden. Wenn sich jemand von einem Unternehmer ein Haus bauen läßt, so drückt er die Fix- und Fertigkeit des Hauses dadurch aus, daß er sagt: Schlüssel in die Hand. Damit ist die Haustür sozusagen als Tüpfel auf dem i gekennzeichnet.

Die Haustür ist zum Haus, was der Schuh zum Anzug ist. Ein verfallenes Haus mit einer neuen Tür macht stets den Eindruck, daß der Besitzer die Mittel hätte, sein Haus von Grund auf zu erneuern. Ein zerlumpter Mensch mit einem Paar neuer Schuhe flößt immer ein gewisses Zutrauen ein, wirkt in bestimmtem Sinne deftig. (Es sei denn, man wüßte, daß er die neuen Schuhe gestohlen hat.)

Was Dir von Deinem Vaterhaus am längsten vertraut bleibt, ist die Haustür, namentlich die Klinke daran. Weißt Du nicht mehr, wann Du zuerst bis hinangereicht hast, wann Dir zuerst das stolze Bewußtsein aufging, daß Du nunmehr ohne Hilfe draußen die Freiheit gewinnen oder drinnen vor der Witterung Unbill oder der Gespielen Rache Zuflucht finden konntest!

War die Tür Deines Vaterhauses vielleicht noch die schöne alte Hierzeltür, deren obere Hälfte sich nach innen öffnen ließ, während die untere verriegelt blieb? Warum hat ein einfältiger Snobismus dies Ideal von Türe überall verpönt, nur an Scheune und Stall bestehen lassen? War es nicht schön, wenn an einem sonnigen Tag um Ostern herum der „Hierzel“ aufstand und all den Glanz und die Aprilfrische in den Flur hereinfluten ließ? Wie von einer Logenbrüstung konnte man, bequem hinausgelehnt, das Theater der Straße sich hinauf- und hinunterspielen sehen. Ich habe nie begriffen, warum nicht jeder, der sich ein neues Haus bauen läßt, auf einer Hierzeltüre besteht, einer biedern alten Hierzeltür, mit dicken Eisennägeln beschlagen, oder mit einem Rad oder einer Sonne darauf, wie sie die alten Schreiner im Griff hatten.

Heute sieht man überall funkelnagelneue Eichenholztüren mit Vandevelde-Linien überkrochen. Aber nur draußen. In der Stadt ist heute das „Skulptierte“ als bäurische Naivität verpönt. Und so kommt es, wie vor hundert, hundertfünfzig Jahren, daß nur die Landschreiner noch mit Lust und Liebe für den Schmuck der Möbel und auch der Haustüren sorgen. Und daß vielleicht um das Jahr 2026 Althändler im Land herumfahren, um die Haustüren aufzukaufen, die heute die Bauernschreiner in ruhiger Winterzeit ausstechen.

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    Katalognummer BW-AK-014-3074