„Tag, Alter, wie geht’s?“
„Gut!“ sagte er milde lächelnd.
Er sagte „gut“, aber ich wußte es besser. Ich wußte, daß es ihm sehr kratzig ging, daß er von Sorgen belagert, in seinem Beruf ohne Erfolg, in seinem Heim ohne Glück war. Und er sagte, es ginge ihm gut. Warum nur?
Wir gingen ein Stück Wegs zusammen, und da schüttete er mir, der ich sein Freund von Kindsbeinen an bin, sein Herz aus.
„Man macht gute Miene zum bösen Spiel,“ sagte er gelassen. „Man will den Leuten nicht die Genugtuung geben, daß man unglücklich ist.“
„Glaubst du, das wäre für die Leute eine Genugtuung?“
„Ja. Und wäre es auch nur das Bewußtsein, daß es ihnen gut geht, während ich im Schlamassel sitze. Eine ganz natürliche Regung. Wenn in der Untergasse das Hochwasser in die Wohnstuben steigt, freuen sich die in der Obergasse, daß sie vor Überschwemmung sicher sind. Besser Neider, als Mitleider. Fragt mich jemand, wie’s geht, so sage ich „gut“, erstens weil ich ihm keine Freude zu machen brauche, zweitens weil ich nicht bemitleidet werden will. Und drittens, weil sie am Ende doch herausfänden, trotz allem Bedauern, daß ich selbst an meinem Unglück schuld bin.“
Ich mußte ihm recht geben. Ich erinnerte mich eines ähnlichen Falles. Einem Bekannten von uns war der einzige Sohn bei einem Auto-Unfall getötet worden, die Frau war ihm mit einem Halunken durchgegangen, der ihn überdies um sein ganzes Vermögen geschwindelt hatte. Es war eine Seele von Mann ansehnlich, fleißig, gescheit, grundehrlich. Allen tat er im Herzen leid, alle wünschten der Frau und dem Entführer die Kränke in den Leib. Und nachdem sie sich gründlich ausempört und ausentrüstet hatten sagte einer: „Eigentlich war er doch selber an allem Unheil schuld. Er war zu gut. Was brauchte der dem Jungen die Fiat zu kaufen! Was brauchte er dem Schuft alle Nas lang zum Abendessen mit nachha zu nehmen? Solchem Kerl vertraut man nicht seinen Regenschirm, geschweige denn seinen Kredit und seine Frau an.“
Die andern überlegten eine Weile schweigend, dann fanden sie, daß es so sei, daß der Unglückliche wirklich seinen Sturz selbst verschuldet habe. Teufel nochmal ein Mann mit fünf gesunden Sinnen paßt doch auf, der geht nicht mit der Nase in den Wolken und stolpert in jeden Straßengraben! Und dabei kamen sich alle Wunder wie gescheidt und weltgewandt vor, und wenn einem an dem Tag von seinem Sohn zugemutet worden wäre, ein Automobil anzuschaffen, oder von seiner Frau, einen Hausfreund zu Tisch zu laden, er wäre hohnlachend mit dem Zeigefinger unter der Nase hergefahren und hätte gesagt: „Gemoppelte!“
Und darum sagte mein alter Freund, es gehe ihm gut, trotzdem es ihm schlecht, himmelschlecht ging. Er tat, was wir alle tagtäglich Dutzende Male tun, er bezahlte im Verkehr mit Worten, die keine Bedeutung mehr hatten, mit Schlacken, mit ausgeblasenen Eierschalen.
Aber ich bitte Sie, wo kämen wir hin ohne diese Papiergeld im Gedankenaustausch!