Original

10. Januar 1926

Ihr sammelt Pfeifenköpfe, Spazierstöcke, Briefmarken, Humpendeckel. Warum sammelt Ihr nicht die Nummern der „Luxemburger Illustrierten“ und des „Gukuk“?

Gestern morgen lagen beide wieder neben Eurer Kaffeetasse. Ihr besahet und laset sie mit Genuß. Ihr könnt Euch keinen Samstagmorgenkaffee ohne sie denken. Dann geht Ihr an die Arbeit und laßt „Illustrierte“ und „Gukuk“ auf dem Frühstückstisch liegen. Die Frau Gemahlin liest und besieht sie, dann kommen der Herr Sohn und Fräulein Tochter an die Reihe, dann die lieben Kleinen, dann die Dienstboten, wenn welche da sind, das Zimmermädchen, der Chauffeur, der Gärtner, die Köchin.

Damit ist das Los des Blattes besiegelt. Die Fettflecken, die es demotratisch zieren, machen es zugleich salonunfähig. Es findet den Weg nicht zurück auf den Tisch in der guten Stube. Oder wenn schon, dann gerät es allmählich in den Hintergrund und geht den Weg allen Papiers, bis in die Schublade mit dem Einwickelpapier oder bis in den Korb, dessen Inhalt zum Feueranmachen verwandt wird. Ab und zu kommt die Rede auf die letzte Nummer, der Herr Papa will etwas nachlesen, er glaubt, er brauche nur darnach zu greifen, er weiß bestimmt, daß er die Nummer dorthin gelegt hatte, aber ganz bestimmt dorthin! Trotzdem findet sie sich nirgends, er wird ungehalten, schimpft, wirft die Türen, brummt etwas von Schlumperei, u. daß er einmal energisch durchgreifen müsse, u. und geht einmal energisch durchgreifen müsse, und geht ganz außer seiner Stunde ins Café, um, wie er sagt, dort zu lesen, was er viel billiger zuhaus haben könnte, wenn die Seinen nur ein klein wenig Ordnungssinn im Leib hätten. Abends zeigt ihm dann die Gattin triumphierend, wo der „Gukuk“ oder die „Illustrierte“ lagen und ihn gebissen hätten, wenn sie Wölfe gewesen wären. Sagt sie.

Wenn Dir jemand heute ein weißes Blatt Papier einhändigte mit einer Nummer eins darauf und sagte: Du kriegst jetzt jede Woche ein solches Blatt, immer mit einer höheren Nummer, bis zum Jahresschluß, und dann fängt es wieder von vorne an, und über zwanzig, fünfundzwanzig Jahre, wenn Du Deine Blätter noch alle zusammen hast, kannst Du dafür leicht zweihundert, dreihundert, vierhundert, fünfhundert Franken und mehr bekommen: So besteht nicht der mindeste Zweifel, daß Du Deine Blätter sorgfältig beisammen hieltest.

Denke Dir nun statt der weißen Blätter die „Illustrierte“ oder den „Gukuk“: Glaubst Du nicht, daß über zwanzig, fünfundzwanzig Jahre eine vollständige Sammlung schweres Geld wert sein wird? Und selbst wenn Du von dem Verkaufswert absiehst, wie wird Dir solche Sammlung kostbar sein zur Auffrischung der Erinnerung. Sieh in der letzten Nummer der „Illustrierten“ die Ansichten von der Arsenalavenue und dem Bäderplatz einst und jetzt: Ergreift nicht jeder Luxemburger erst dann recht Besitz von seiner Vaterstadt, wenn sie ihm in früheren Gestalten vorgeführt wird? Und wie werden sich unsere Nachsahren freuen, wenn sie in alten „Gukuk“-Nummern die Karikaturen ihrer Großväter und Großonkel sehen und bei ihnen die komischen Züge entdecken, die sich durch Geschlechter verewigt haben!

Also sammeln wir diese kleinen Kulturdokumente, deren Wert mit der Zeit unfehlbar wächst.

In jedem Haus sollte reihum ein Familienmitglied bezeichnet werden, das jeweilig unter eigener Verantwortlichkeit die Wochennummern zu betreuen und beim Abhandenkommen aus seiner Tasche zu ersetzen hätte.

Dixi et salvavi animam meam. Denn soviel ist sicher, daß doch niemand meinem Rat folgen wird, und daß über fünfzig Jahre eine vollständige Sammlung eines der genannten Blätter mit Gold aufgewogen wird. Denn niemand wird dann mehr Geschichte lesen, man wird nur noch Geschichte sehen wollen, im Film und im Bild.

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    Katalognummer BW-AK-014-3077