Einen Vortrag über Japan hielt Herr Hughes Le Gallais Freitag abend im Theatersaal der Arbed vor einer zahlreichen und aufmerksamen Zuhörerschaft.
Der junge Conferencier, der im Auftrag der Columeta längere Zeit in Japan zugebracht hat, richtete seinen Vortrag nach dem Wort ein, daß sich in der Beschränkung der Meister zeigt. Aus dem Kulturganzen, als das Japan aufzufassen ist, wählte er zu eingehender Behandlung ein Stück, das grade den Europäer am stärksten interessieren muß, weil es im ganzen Umkreis unseres öffentlichen Lebens kein Äquivalent hat: die Zeremonie des Tees.
War so dem Abend stofflich eine starke Eigenart aufgeprägt, so entsprach dieser auch die vom Vortragenden gewählte Form. Man erinnert sich der sprühenden Plauderei, die Chalux vor einem Jahr im selben Raum über den Kongo gehalten hat. Damals galt es, etwas wie einen neu werdenden Weltteil in Stichproben zu zeigen, werktätiges Interesse dafür zu wecken, - für ein fast noch leeres wirtschaftliches Gefäß mit totem Inhalt um Sauerteig zu werben.
Herr Le Gallais hatte eine andere Aufgabe. Er wollte seinen Zuhörern einen Begriff geben von einer fertigen, Jahrtausende alten Kultur, von dem, was in dieser Kultur bodenständig ist - denn das Japan von heute ringt vielfach um Anschluß an europäische Sitten und gehört in ein anderes Kapitel. Darum wirkte der Vortrag von Freitag in Übereinstimmung mit seinem Gegenstand so stilisiert, abgerundet, fast asketisch sachlich. Kein Versuch war gemacht, durch Parallelisierung mit europäischer Denkart den Geist Japans verständlicher zu machen, denn es gibt geistige Provinzen, in denen Asien und Europa sich niemals begegnen werden.
Wir werden uns hier - um nur ein paar krasse Äußerlichkeiten zu erwähnen - nie mit der japanischen Vorstellung vertraut machen, daß weiß die Farbe der Trauer, daß der Bauch der Sitz der Gefühle sein soll. Herr Le Gallais gab in knapper, klarer Form einen kurzen Einblick in die Symbolik der Tee-Ceremonie mit Streislichtern auf die religiösen und philosophischen Grundlagen der japanischen Weltanschauung. Jeder Zuhörer, der für den überaus aktualen Gegen- stand das Interesse hat, das die heutige Weltlage fordert, muß den Wunsch teilen, grade diese Stelle des Vortrags später im Druck nachlesen zu können. Wer dafür weniger übrig hatte, der kam nachher bei den zahlreichen Lichtbildern von Land und Leuten und den Grammophonplatten vom japanischen Theater auf seine Rechnung. Keiner aber wird ohne den starken und dauerhaften Eindruck geblieben sein, daß dies Land für unser Gedanken- und Gefühlsleben noch lange ein Land der Rätsel bleiben wird, und daß die Seele Asiens, wenn sie sich in die Gestalt der oft berufenen gelben Gefahr kleidet, für uns die unheimlichste aller Gefahren ist, die wir von Menschen erträumen können.
Der Lieblichkeit, in die wir uns die Geisha gehüllt denken, wird immer die Entsetzensvision des Harakiri gegenüberstehen, in der wiederum wie in einem Symbol sich asiatische Grausamkeit und Todesverachtung paaren. Der Mann, der sich mit einem Schwertschnitt den Leib von rechts nach links geoffnet hat, soll soviel Herrschaft über sich behalten, daß er bis zu seinem letzten Wort deutlich spricht und es so einrichtet, daß er vornüber fällt, um seine schauderhafte Wunde den Blicken der andern zu entziehen. Man denkt an Hedda Gabler’s Wort vom Sterben in Schönheit und entdeckt trotz allem in jenem Ideal des Harakiri-Verlaufs eine Konzession an unser westliches ästhetisches Denken.
Wie werden in hundert Jahren die beiden Zeiger auf der Weltenuhr stehen, deren Antrieb in asiatischem Geist liegt und deren Weg kulturell heute in entgegengesetzter Richtung zu führen scheint: Nußland und Japan?