Vor dem Krieg und noch eine geraume Zeit in den Nachkrieg hinein war die Zahl hundert ein Rubikon, den der gemeine Mann zu überschreiten sich scheute. Es war der erste Vorhof zum Allerheiligsten der Tausendziffer, die alle Fülle in sich barg. Wer da sagte: Tausend!, der hatte die Grenzen des numerisch Möglichen symbolistisch so weit hinaus gesteckt, daß es weiter nicht mehr ging. Und in diese Unendlichkeit hinaus war die Zahl hundert, die erste der dreistelligen, der erste Schritt. Man war damit auf einmal jenseits des Alltags, über den Bereich alles Kleingeldes gehoben, und man empfand eine scheue Ehrfurcht, eine Verantwortlichkeit, wie der Hüter eines Schatzes. Wer erinnert sich nicht, im Schaufenster eines Konfektionsgeschäftes einen überaus vornehmen Frackanzug gesehen zu haben, an dem ein Zettel mit Preisangabe hing. Aber der Preis betrug nicht 100 Franken, sondern 99.95 Franken. Wer zuerst auf den Einfall kam, statt der Hundert eine zweistellige Ziffer zu setzen, und waren es auch nur 5 Centimes weniger, der war ein schlauer Psychologe, der wußte genau, daß es sich nur um das Wegräumen eines Fläumchens handelte, damit aus der gefürchteten Hundert eine Zahl wurde, die in der Phantasie des Liebhabers harmlos alltäglich klang.
Die Scheu vor der Hundert haben alle, die vor zehn Jahren schon mit Verantwortung Geld ausgaben, noch heute im Blut. Sie entsetzen sich noch heute instinktiv, wenn sie zum Beispiel hören, daß ihrer zwei für hundert Francs und darüber zu Mittag gegessen haben. Skandal, Verschwendung, Schande! Sie stehen der neuen Preisskala mit zerschlagenen Maßstäben gegenüber. Fall für Fall gibt ihnen Anlaß erst zum Erschrecken, dann zur Überlegung, daß sie eine Umrechnung vornehmen müssen. Sie reden sich gewissenhaft zu: Du, Alter, das ist ja gar nicht so schlimm, du mußt denken, das macht im Grunde genommen fünf- bis sechsmal weniger, in der Vorkriegsrechnung hast du für diese Flasche Mercier Splendide eigentlich viel mehr bezahlt, als heute, ihr könnt ganz ruhig noch eine trinken, ohne euch dem Vorwurf der Verprassung auszusetzen!
Und so wird den übertriebenen Gewissensbissen allmählich der Giftzahn ausgebrochen, neue Bahnen im Denken ans Sparen schleifen sich ein. Es war ein Gipfel, ein Scheidegrat zu überwinden. Wer ihn überwunden hat, gerät auf der andern Seite ins Gleiten die schiefe Ebene hinunter. Er empfindet es fast beschämend, daß er so lang den Respekt vor dem Hunderter bewahrt hatte, wo dieser ihn doch gar nicht mehr verdiente. Wie wenn man zu einem Menschen aufgeblickt hat, der sich auf einmal als Blender und Hohlkopf entpuppt. Man läßt es diesen Ehrfurchtsusurpator entgelten, behandelt ihn beinahe mit Verachtung, die Hunderter fliegen auf einmal nur so.
Es ist die höchste Zeit, daß wir festen Boden unter die Füße bekommen. Aber mit der Stabilisation beginnt die umgekehrte Schwierigkeit. Wir haben uns daran gewöhnt, daß das Geld einen fünfmal geringeren Wert hat. Wir müssen uns dann aus dieser Vorstellung wieder herausgewöhnen. Es wird für viele Leute schwer halten, sich der neuen Formel anzupassen, daß sie am Tag nicht hundert, sondern nur zwanzig Francs ausgeben dürfen.
Den tiefen Glauben an die neue Botschaft wird schließlich nur das Gold bringen können. Mit wieviel größerer Andacht legen wir einen goldnen Zwanziger, als einen papiernen Hunderter auf den Tisch!
Herr, gib uns wieder Gold!