Original

16. Januar 1926

Die Dame, die vor mir herging, bildete in einem gewissen Betracht eine Ausnahme, eine löbliche Ausnahme von der gesamten modernen Damenwelt.

Sie war, beiläufig gesagt, nicht alt, sondern jung.

Sie war nicht häßlich, sondern hübsch.

Dies muß vorausgeschickt werden, damit die Fernwirkung des Erlebnisses nicht abgeschwächt werde.

Diese junge, hübsche Dame trug nämlich platte, vollkommen platte Absätze. Und sie trug sie mit einer so natürlichen Anmut, sie ging so behend und federnd, daß es erfrischend war, ihr nachzusehen.

Tags vorher hatte mir mein Schuster Damenschuhabsätze gezeigt, die acht Zentimeter hoch waren. Der Besitzerin waren sie noch nicht hoch genug gewesen, sie hatte sie ihm gebracht, damit er sie noch anderthalb Zentimeter höher machte. Dieser Schuh war eine steile Rutschbahn. Ich stellte mir die armen Zehen vor, wie sie ganz unten festgekeilt in fürchterlicher Enge die ganze Last, die von oben nachrutschte, zu tragen hatten.

Der Anblick jener jungen, hübschen Dame mit den platten Absätzen war wie ein Erlösung. Man darf also damit rechnen, es werde der Damenwelt trotz allem noch eines Tages dämmern, daß sie durch ihre hohen Absätze dauernd wider den hl. Geist der Ästhetik sündigen.

Wie sagten Sie, Gnädigste? Die Mode? Sie möchten schon ausbrechen, aber wehe der, die der Mode davonläuft!

Also gestatten Sie, daß ich Ihnen mit einem Präzedenzfall komme. Zur Zeit Ihrer hochverehrten Frau Großmutter war es Mode, daß sich die Frauen Wespentaillen schnürten. Es sah schauderhaft aus. Bauch und Hüften - verzeihen Sie die Deutlichkeit - quollen indiskret hervor, um die Taille sahen die Ärmsten aus, als könne man sie mit einem Knacks entzweibrechen. Es gab nichts, was einer Venus von Milo oder dem heutigen Ideal von Frauenkörper so wenig ähnlich sah, wie jene lächerlich verbildeten Gestalten. Und trotzdem, wenn man Ihrer hochverehrten Frau Großmutter zugemutet hätte, auf ihre feine Taille zu verzichten, hätte sie beleidigt ausgerufen: Aber mein Herr, die Mode!

Dennoch ist Natur der Mode Herr geworden und am stolzesten sind heute die, die überhaupt kein Korsett zu tragen brauchen. Man darf also hoffen, daß auch die Absatzstelzen den Weg der Wespentaille gehen werden.

Die Modewut für die hohen Absätze beruht auf einer grundirrigen Anschauung. Jede will einen möglichst kleinen Fuß haben. Trägt sie die Ferse zehn Zentimeter hoch in der Luft, so sieht sie vorne in perspektivischer Verkürzung an ihrem Fuß hinunter und er erscheint ihr deshalb kleiner. Aber er ist dafür, um keinen Zehntelzoll kleiner, im Gegenteil, jedem Betrachter von außen scheint er durch die abnorme Aufmachung eher größer, ja, ins Lächerliche verzerrt. Gibt sich ein plumper Fuß natürlich, so ist er der gute Kerl, der dem Ansehen seiner Herrin gar nichts schadet, will er sich aber in eine falsche Eleganz von Schusters Gnaden hüllen, so wirkt er, wie der Esel als Schoßhündchen. Alles Natürliche paßt ins Weltbild und geht darin auf, alles Verbildete ist darin ein Mißton. Das einfach Unbeholfene eines Plattfußes wird mit Hilfe des hohen Absatzes zu einem komischen Gehumpel. Abgesehen von der Verschiefung des Hüftgelenkapparates.

Die Gottbegnadeten, deren Fußknochen und Knöchel so gelagert sind, daß sie nach dem Gesetz des Minimalkraftaufwandes, also graziös und kräftig zugleich, arbeiten, die können ruhig auf die hohen Absätze verzichten, ihr Fuß wird sich immer anmutig im Schritt hinsetzen und federnd sich heben, wie der Fuß einer Balleteuse oder Tennisspielerin. Diese müssen den Anfang machen, die andern kommen dann schon von selbst nach.

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    Katalognummer BW-AK-014-3082