Original

28. Januar 1926

Zur Zeit der langen Abende steht die Gesellschaft im Zeichen des Fracks.

Von der Dreieinigkeit: Claque, Lack und Frack ist der Frack das meistgeschmähte und meistgelobte Mitglied.

Anhaltend wird von kulturlosen Eiferern gegen ihn gehetzt und siegreich hat er immer allen Anstürmen Trotz geboten.

Es muß also doch wohl etwas los sein mit ihm.

Geht man auf den Grund der gegen ihn bestehenden Feindseligkeit, so findet man, daß sie ihn ganz ohne seine Schuld trifft. Er ist das Kleid des Abends, das „Kleid“, „l’habit“ vor allen andern und als solcher ist er geschaffen für das künstliche Licht der Kronleuchter, als evening dress Es ist Entweihung und Barbarei, ihn bei hellem Taglicht zur Schau zu tragen, wie es die Kunden der Frackverleihinstitute zu tun pflegen, wenn sie als überfällige Semester ihr Examen bauen oder wenn sie als Kellner in einer Gartenwirtschaft Humpen und Sauerbraten auftragen.

Eine Hauptbeschwerde gegen den Frack lautet dahin, daß er es zur Unmöglichkeit mache, in einer Gesellschaft die Gäste von den Kellnern zu unterscheiden. Es würde also genügen, den Frack als Kellneruniform zu verpönen. Aber was würde dann aus den alten Fräcken? Einen Frack kann man nicht bis auf den letzten Faden auftragen, wie andre Kleidungsstücke. In einem alten Rock kannst du immer noch deine Erdbeeren behacken. Aber wie sähe es aus, wenn du dazu einen Frack anzögest? Übrigens braucht jene Beschwerde nicht immer zu stimmen, es gibt Gesellschaften, in denen man die Kellner nicht mit den Kavalieren verwechselt, weil die Fräcke der Kellner von besserem Schnitt sind.

Es besteht vorläufig keine Aussicht, daß der Frack als Uniform der Zivilisten je verschwinden wird. Die Männertracht muß eben etwas haben, worin sie feierlich gipfelt, das ist der Frack. Er ist die Freimaurerei der gesellschaftlichen Kultur. Er ist ihr Barometer. Wie einer den Frack trägt, das gibt ihm Niveau. Das lernt man nicht, das muß angeboren sein. Man kann den Frack tragen: Elegant, intellektuell oder - sagen wir „manuell“ - Tom Mix wird ihn anders tragen, als Einstein - lässig, beflissen, peinlich und bohemehaft, täppisch und geistreich, hoffärtig und bescheiden, einfach und kompliziert, dumm und gescheidt, verzagt oder unternehmungslustig - er ist ein Kulturinstrument, auf dem der eine von Natur aus spielt, wie Paganini, während der andre Zeit seines Lebens ein Stümper bleibt.

Sie sehen, man hat es da nicht mit einem einfachen Bekleidungsstück zu tun, sondern der Frack ist ein Prüfstein, dessen die Gesellschaft nicht mehr entraten will.

Der Schneider - vielmehr der tailor - auch nicht. Am Frack wächst er empor zur Meisterschaft. Da wetteifert er mit Praxiteles und Rodin. Ein gutgeschnittener Frack ist ein Labsal für Auge und Gemüt. Alles daran ist von einer ruhigen Selbstverständlichkeit, die Art, wie er sich über die Männerbrust wölbt, wie unter den Brustlappen der Schnitt leicht aufwärts sich über die Rundung der Hüftgelenke windet bis zum Ansatz der Schöße, wie die Rückenlinie klassisch vom Kragen bis in die Kniekehlen verläuft, wie der weiße Vorstoß der Weste grade nur noch sichtbar wird, um die Kontour zu markieren - dem Mann, der dies Gebilde schafft, wäre unbedingt auch eine Apollostatue zuzutrauen.

Nein, den Frack werden sie niemals vom Thron stoßen. Hinter seiner Materialität steckt zuviel Sinnbild. Sinnbild des leichtgeschürzten Frohsinns von vorne, der feierlichen Besonnenheit von hinten, Sinnbild des Mannesmuts von vorne - hier meine offene Brust, stoß zu, wenn du den Mut hast! -, Sinnbild der Vorsicht von hinten, wo alle edleren Organe, die bei etwaiger Flucht den Pfeilen des Verfolgers ausgesetzt sind, unter weitgehender Deckung verschwinden.

Nein nein, laßt uns den Frack, es ist das einzige Abzeichen, mit dem wir die Fiktion aufrecht erhalten können, daß alle Menschen gleich sind.

TAGS
    Katalognummer BW-AK-014-3092