In einem jüngst erschienenen englischen Roman „The Chip and the Block“, von E. M. Delafield, sagt ein junges Mädchen, Gladys St. Lawrence, die sich in Deutschland als Violinistin ausgebildet hat:
„Es war mir die furchtbarste Enttäuschung, als ich Deutschland verlassen mußte. Sehen Sie, Papa und Mama find nicht sehr wohlhabend, und es kostete Geld, mich dorthin zu schicken und zwei Jahre lang für meinen Unterhalt zu sorgen. Und dann hören müssen, daß ich es nie so arg weit bringen würde - jedenfalls nicht bis zum Konzertpodium - na, es ist schon ein harter Schlag für uns alle. Und nun hoffe ich, ein paar Schüler zu finden.“
Die bösesten Enttäuschungen, die sich am schwersten verwinden lassen, sind die auf idealem Gebiet. Es gibt gegen sie keine Berufung. Wer in Geschäften einmal ein Fiasko erlebt, fängt morgen mit- frischem Mut wieder von vorne an; wenn ein Geiger merkt, daß er keine Klasse ist, hilft ihm kein Mut über die Barriere.
Und dennoch zählen sie nach Tausenden, die alljährlich hinausfliegen, gelockt von der strahlenden Bogenlampe des Ruhms.
Man weiß, wie es geht. Der Junge hat die Musik im Blut, schon in der Wiege sang er die Schlafliedchen seiner Mutter glockenrein nach. Er hatte das absolute Gehör, er konnte durch eine ganze Zimmerflucht sagen, welche Note auf dem Klavier angeschlagen wurde. Es wäre ein Verbrechen gewesen, die wunderbare Anlage verkümmern zu lassen. Er bekam Violinstunden, ging aufs Konservatorium, hatte Briefe von seinem Professor, der in ihm seinen Lieblingsschüler erkannte, nannte im Geist die großen Geiger, deren Bilder in den Musikalienhandlungen hingen, seine lieben Kollegen, bekam seinen ersten Preis mit Beglückwünschung der Jury, ließ sich die Haare lang wachsen, mit einer Schüttellocke rechts über der Stirne - und wartete, wartete, bis es käme, das Große - erst das ganz Große, dann das Große, dann das weniger Große, zuletzt das Kleine, das ganz Kleine.
Dann wurde er Primgeiger in einem Bierkonzert - ha, Junge, da verdienst du mehr als auf den langweiligen Konzertreisen. Man hat keine Vorurteile, das Volk will auch Musik, gute Musik, die geben wir ihm!
Er verliebt sich und heiratet, bekommt Kinder. Ist ein anständiger Kerl und sorgt für die Seinen. Die Kunst geht nach Brot, aber er beißt die Zähne aufeinander und läßt seine Kunst nicht zum Handwerk werden.
Und Abend für Abend steht er im hellerleuchteten, summenden Saal und spielt, weltverloren, eingesponnen in sein Reich der Schönheit, daß es ist, als strömte ihm das Herzblut unter Fingern und Bogen hervor.
Bierkonzert! Ist es recht, daß sie mit dem Wörtchen Bier gleich alles ins Gemeine hinabdrücken wollen? Wird die Humoreske von Dvorak, der Walzer aus dem Rosenkavalier, wird Peer Gynt oder ein Lied von Mendelssohn gemein dadurch, daß die Zuhörer Leute sind, die nach ihren Arbeitsstunden die Spannung der Nerven durch ein Glas Bier gelöst haben und um so genußfähiger geworden sind? Sitzen nicht in jedem vornehmen Konzertsaal, wo man sich beträgt, wie in einer Kirche, sitzen da nicht soundsoviel vom Hundert, denen die Musik Hekuba ist, die gekommen sind, weil es zum guten Ton gehört, weil sie eben auch dagewesen sein wollen?
Nein, Ihr Enttäuschten und Entgleisten, die das Leben um das Höchste betrogen hat, laßt Euch nicht unterkriegen, denkt, daß Ihr mit Euerm Spiel manch bescheidenem Menschenkind, das still in seiner Ecke sitzt, eine reine Freude macht. Denkt Euch, daß in der Menge verloren auch nur zwei, drei Euch lauschen, denen Euer Spiel wie Offenbarung ist - spielt für diese zwei oder drei, so habt Ihr Euern Tag und Euer Leben nicht verloren.