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30. Januar 1926

Am Tag vor Großherzogin Geburtstag hatten wir im Wetterbericht gemeldet, daß andern Tags ein gewaltiger Ordensregen über das Land niedergehen würde.

Ein alter Herr, der hoch in Amt und Würden steht, bekam es daraufhin mit der Angst vor Durchnässung. Er ging ins Te Deum mit aufgespanntem Regenschirm, durch die Straßen, durch den Vorhof der Kathedrale, durch das Tor der Kathedrale und durch die mit Menschen und Feierlichkeit und Neugier gefüllte Kathedrale bis ans Chor, wo er seinen Ehrenplatz einnahm. Erst dann entspannte er sein Regendach.

Man kann der Regierung nur Lob spenden dafür, daß sie endlich wieder die Schleusen der Eichenlaubkrone weit geöffnet hat. Wenn man über ein so billiges Mittel verfügt, Menschenherzen zu erfreuen, so soll man bei jeder passenden Gelegenheit davon Gebrauch machen. Es ist unendlich besser, daß einer zu viel, als daß einer zu wenig dekoriert wird. Ein Orden, der zu spät oder gar nicht kommt, ist nicht ein Negatives, sondern eine positive Blamage.

Jedermann lächelt über die Ordensfiebristen und bei jedermann steigt der Puls des Ehrgeizes hoch in die Fieberskala, wenn er selbst für einen Orden in Betracht kommt.

Was denn an so ’nem Bändchen mit Medaille schließlich dran sei? Ja du lieber Himmel, muß denn an allem gleich allerhand Meß- und Wägbares dran sein? So ein Orden ist doch eine Bestätigung eines Individuums, eine staatliche Bejahung einer Persönlichkeit, sozusagen eine Vollendung, ein Tüpfel auf dem i.

Wer das Amt eines Ordensschleusenmeisters hat, soll wohl darauf achten, daß er mit seinem Segen nicht zu spät kommt. Orden sind wie Fische, sie werden vom lange Liegen nicht besser. Wenn einer Ritter oder Offizier, Großkreuz oder Komtur nur deshalb wird, weil er es noch nicht war, so wirkt die Ehrung nicht wie ein Geschenk, sondern wie die endliche Rückzahlung eines überfälligen Darlehens, das der Mann inzwischen schon pränumerando aufgebraucht hat.

Warum die meisten Männer dekoriert sein wollen? Doch nur, um ihren Frauen zu imponieren. (Wenn sie Junggesellen sind, ihrer Köchin oder ihrem Verhältnis.) Es muß eine gewisse Genugtuung sein, wenn der Mann zur Frau sagen kann: Siehst du, Melanie, du rümpfst immer über mich die Nase, und nun habe ich es von Ihrer Königlichen Hoheit der Großherzogin schriftlich, was ich für ein tüchtiger Kerl bin!

Der Wert eines Ordens wächst im umgekehrten Verhältnis zum Alter des Geehrten. Mancher, der vielleicht mit fünfundzwanzig auf ein Ritterkreuz stolz gewesen wäre, zuckt mit vierzig - oder sagen wir einmal fünfzig - darüber die Achseln.

So unwahrscheinlich es klingt: Es gibt Leute, die aus Prinzip sich nie dekorieren lassen. Sie verhalten sich zu den andern, wie die Nichtraucher zu den Rauchern. Sie haben nicht das Bedürfnis, dafür aber auch nicht den Genuß.

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    Katalognummer BW-AK-014-3094