Original

31. Januar 1926

Es gibt kaum einen Politiker - aktiven oder passiven - in Luxemburg, der ihn nicht gekannt nicht unter ihm gelitten hätte. Er hätte sich nötigenfalls bei einem Widerspenstigen eingeschlichen, sich im Schlafzimmer unterm Bett versteckt und ihm, wenn er das Knie auf den Bettrand hob, den Bleistift auf die Brust gesetzt. Kaum hatten wir hier die Empfindung, daß irgend etwas irgendwo los sei, kam er mit dem nächsten Zug von Brüssel und sprang in medias res. Ein Vorkommnis, das ohne ihn ruhig im Sand verlaufen wäre, verdickte sich zu einer Sensation. Er war darin, wie der Frosch, der in dem Rahm zappelt bis es Butter wird.

Nicht daß man ihn hätte zappelig nennen können. Im Gegenteil, er war die Ruhe selbst. Er hatte eine Falstaff-Figur, einen kurzen Knebelbart, kluge, frohe Augen, eine beruhigende Stimme, die harmlos in rundem Brustton aus einem runden Mund kam. Er lachte selten, und dann ein beherrschtes, überlegenes Lachen. Wenn er kam, tat er, als wollte er einfach einem Kollegen freundschaftlich guten Tag sagen, kein Interview, beileibe nicht. Und andern Tags stand es schwarz auf weiß in der „Dernière Heure“. Hattest du das alles wirklich gesagt? Es mußte schon so sein, denn was da stand, waren deine Gedanken, nackt und dreist, wie du sie nie selber zu Papier gebracht hättest vielleicht mit ein paar ungenauen Nüancen, aber im großen ganzen richtig. Na, schließlich schadete es ja nichts, wenn es einmal rund heraus gesagt wurde.

Jetzt ist er tot. Ich begegnete gestern einem belgischen Kollegen und sagte, wie schade es sei, daß der arme Jean Bar gestorben ist.

„Ja,“ sagte er, „ein großer Verlust für den belgischen Journalismus, zumal auch der vortreffliche Quenne um dieselbe Zeit hingerafft wurde.“

„Ganz genau in derselben Sekunde,“ sagte ich. Dem Quenne und Jean Bar waren ein und derselbe „Quenne dit Jean Bar,“ stand er in amtlichen Schriftstücken. Ein deutscher Kollege in Brüssel widmet ihm in der „Frankfurier Zeitung“ folgenden Nachruf:

„Immer, wenn ich kam, saß er dort unten im kleinen Sprechzimmer der Journalisten der belgischen Kammer. Drüben im hohen Kuppelsaal interpellierten die Abgeordneten die Minister. Hier interviewte er mein belgischer Kollege, die Minister und die Abgeordneten. Er kannte jeden und alles und war ein Skeptiker mit Frohsinn. Während das Opfer noch sprach, stand seine Aussage schon auf dem Papier und das Papier wanderte in die Druckerei und wurde öffentliche Meinung ein kleiner Teil der großen öffentlichen Meinung. Er war ein gutmütiger, mit Humor bedachter Parlogram aus Schicksal. In allen Dialekten Belgiens und Frank reichs wußte er vorzüglich zu schimpfen, aber es verletzte keinen, auch von denen nicht, die ihn verstanden. Wahrlich, er hatte wenig Achtung vor den Koryphäen der Politik, aber er benahm sich doch zu ihnen wie ein guter alter Pensionspapa. Während einen Stock höher Journalisten aller Parteien Witze erzählten oder ihren Nachmittagsskat erledigten, holte er sich seinen Minister mit leiser Umarmung aus dem Wandelgang und fragte und notierte. Er ging durch das Leben mit Feder und Papier. Im Sommer trug er stets Strohhut und Regenschirm.

Er ist 65 Jahre alt geworden. In den Zwanzigern @n er mit dem systematischen Interviewen und @ behauptet, es sei damals eine aufsehenerregende @eit gewesen. Pro Tag interviewte er drei bis @ Personen, die Sonntage meist ausgenommen. Bei @g Jahren Tätigkeit ergibt das nahezu fünfzig@d Interviews. Wieviele Jubiläen hätte er @ können, wenn er statistisches Talent besessen @ Wieviele Menschen können sich mit ihm ver@en?

@estern fand ich das kleine Sprechzimmer der Jour@en leer. Jean Bar war gestorben. Als er nach @nheilvollen Operation noch einmal aus langer @ßtlosigkeit erwachte, waren seine ersten Worte: @ gibt es Neues in den Blättern? .... doch es @ ihm nicht mehr beschieden, über die letzten Neuig@ irdische Interviews zu besorgen.“

TAGS
    Katalognummer BW-AK-014-3095